Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

212 ALGECIRAS VOR DEM REICHSTAG 
erkannten, was wirkliches Elend, was wirkliche Schmach sind ! Als ich Seiner 
Majestät das Ergebnis der Algeciras-Konferenz und die unmittelbar bevor- 
stehende Unterzeichnung der Algeciras-Akte meldete, aprach mir der Kaiser 
telegraphisch seine lebhafte Befriedigung aus. Dieser friedliche Ausgang der 
schwierigen Verhandlungen bedeute für ihn eine wahre Erleichterung. Von 
dem Ergebnis sei er durchaus befriedigt. Das Telegramm schloß mit einem 
lateinischen Zitat: Hic optime manebimus. 
Am 5. April hatte ich die erste sich mir bietende Gelegenheit benutzt, 
um im Reichstag festzustellen, was Ausgangspunkt, Ziel und Ergebnis der 
Konferenz von Algeciras gewesen wäre”. Wir hätten in Marokko keine 
direkten politischen Interessen, auch keine politischen Aspirationen, wohl 
aber vertragsmäßige Rechte und wirtschaftliche Interessen. Über sie nicht 
ohne unsere Zustimmung verfügen zu lassen, wäre eine Frage der Würde 
des Deutschen Reichs gewesen, das sich nicht als Quantite negligeable be- 
handeln lasse. Es wäre ein Mangel an Augenmaß gewesen, wenn wir wegen 
untergeordneter Fragen die Konferenz gesprengt hätten. Für sekundäre 
Forderungen Kopf und Kragen daranzusetzen, wäre nicht praktische 
Politik. An dem großen Grundsatz der offenen Tür hätten wir unerschütter- 
lich festgehalten, an diesem Grundsatz, der uns während der ganzen 
Marokko-Aktion geleitet habe und leiten mußte. Ich schloß mit den Worten: 
„Meine Herren, es war ein ziemlich schwieriger Berg, den wir zu ersteigen 
hatten. Manche Übergänge waren nicht ohne Gefahr. Eine Zeit der Mühe 
und Unruhe liegt hinter uns. Ich glaube, daß wir jetzt mit mehr Ruhe ins 
Weite blicken dürfen. Die Konferenz von Algeciras hat, wie ich glaube, 
ein für Deutschland und Frankreich gleich befriedigendes, für alle Kultur- 
länder nützliches Ergebnis geliefert.“ In der Tat sind die Beziehungen 
zwischen Deutschland und Frankreich seit dem Frankfurter Frieden nie so 
ruhig und verhältnismäßig freundlich gewesen wie während der fünf Jahre, 
die zwischen der Algeciras-Akte und dem Panthersprung nach Agadir 
lagen. Die Ausführungen, die ich am 5. April 1906 im Reichstag machte, 
wurden von allen bürgerlichen Parteien mit Zustimmung aufgenommen, 
insbesondere stimmte mir unter lebhaftem Beifall im Namen des Zentrums 
der Abgeordnete Freiherr von Hertling zu. Nach Hertling erging sich der 
Abgeordnete Bebel in den gewohnten sozialdemokratischen Klagen über 
die Regierung im allgemeinen und ihre auswärtige Politik im besonderen. 
Er meinte, daß Bismarck, den er übrigens noch maßloser anzugreifen 
pflegte als mich, nie die Konferenz von Algeciras zugelassen haben würde. 
Noch weit fehlerhafter als meine Marokko-Politik wäre, daß ich freundliche 
Beziehungen zu dem „barbarischen“ Rußland unterhielte, 
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe II, 303 ff.; Reclam-Ausgabe IV, 92 fl.
	        
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