ROTE, SCHWARZE ODER GELBE AFFEN 7
Einige Wochen vor dem Besuch der Großfürstin Wladimir in Trebschen
hatte Tirpitz in St. Petersburg geweilt. Er war von Kaiser Wilhelm beauf-
tragt worden, dem Zaren Zeichnungen von unseren im Bau begriflenen
Panzerschiflfen zu übergeben und ihm darzulegen, daß unsere Seemacht
auf die Nordsee konzentriert bleibe. Die von der französischen Presse ver-
breitete Nachricht, wir wollten Danzig in einen Kriegshafen verwandeln,
sei unbegründet. Tirpitz hatte natürlich keine Gelegenheit gehabt, in die
Intimitäten des Zarenhofes einzudringen, aber er war mit größter Auszeich-
nung empfangen worden. Er hatte in Zarskoje Selo im engsten Kreis bei
den Majestäten gefrühstückt. Die bisher für wenig deutschfreundlich
geltenden Großfürsten Alexei Alexandrowitsch und Alexander Micha-
ilowitsch waren ihm sehr freundlich entgegengekommen. Der Vizeadmiral
Avellan, der dreizehn Jahre früher das russische Geschwader nach Toulon
geführt hatte, zeigte sich besonders empressiert.
In Deutschland hatten die Wahlen von 1903 der Sozialdemokratie einen
bedeutenden Zuwachs an Stimmen gebracht. Wilhelm II. war zu intelli-
gent, um nicht zu fühlen, daß zu diesem Anschwellen der sozialdemo-
kratischen Stimmen er selbst durch seine Reden und Gesten nicht unwesent-
lich beigetragen hatte. Wie dies aber leider nur zu oft seine Art war, ver-
schloß er seine Augen vor der eigenen Verantwortung und richtete proprio
motu ein Telegramm en clair an mich, in dem es hieß, es sei ihm vollständig
gleichgültig, ob in dem Reichstagskäfig rote, schwarze oder gelbe Affen
herumsprängen. Daß dies mehr als burschikose Telegramm nicht in die
Öffentlichkeit kam, war ein schöner Beweis für die Treue und Verschwiegen-
heit des Telegraphenpersonals. Für mich war es weniger der von der Sozial-
demokratie erzielte Gewinn, der mir bedenklich erschien, als die in Deutsch-
land immer weiter um sich greifende und schließlich bei vielen fast zum
Glaubenssatz gewordene Meinung, daß die sozialdemokratische Bewegung
unter keinen Umständen zum Stillstehen zu bringen wäre, sondern wie ein
Naturereignis, dem Meere oder einer Lawine vergleichbar, unaufhaltsam
weiterrolle. Ich suchte deshalb nach einer Gelegenheit zur öffentlichen Ab-
rechnung mit der sozialdemokratischen Partei. Ich war von der Notwendig-
keit durchdrungen, im passenden Augenblick eine Reichstagsauflösung
herbeizuführen, um einen besser zusammengesetzten Reichstag zu erhalten.
Unerschütterlich gewillt, Gesetz und Ordnung aufrechtzuerbalten, war ich
nach wie vor gegen unprovozierte Gewaltmaßregeln, geschweige denn
einen Staatsstreich und Bruch der beschworenen Verfassung. Ich war und
bin der Ansicht, daß große soziale Bewegungen und Strömungen auf die
Dauer nur geistig zu überwinden eind, das heißt mit Vernunft und Geist,
was eine feste Hand im Notfall nicht ausschließt. In Deutschland wird die
Bedeutung des gesprochenen Wortes vielfach unterschätzt. Ohne faustisch
Reichstags-
wahlen
von 1903