VERBRECHERISCH UND STUPIDE 235
des deutschen Volkes, daß die Regierung nicht die Aufgabe hat, die Vor-
sehung auf Erden zu spielen, wie ihr das der grübelnde deutsche Doktri-
narismus immer wieder zumutet. Sie hat auch keine Sittenpolizei auszu-
üben, wie dies die zu ethischer Betrachtungsweise geneigte öffentliche
deutsche Meinung möchte. Die deutsche Regierung hat lediglich die blei-
benden Interessen des Reichs zu vertreten. Das habe ich getan, und damit
habe ich mich um das Land verdient gemacht. Eine andere Politik hätte,
das sage ich Dir mit der größten Bestimmtheit, die Sicherheit des Reiches
gefährdet. Sie würde vielleicht die Gefahr eines Weltkrieges herauf-
beschworen haben. Ohne Grund das Land solchen Eventualitäten auszu-
setzen, war nicht meine Sache. Solange ich Kanzler bin, werde ich, unbe-
kümmert um ungerechte Angriffe, unbeirrt durch Verdächtigung und
Verkennung, gleichgültig für den Civium ardor prava jubentium wie für
den Vultus instantis tyranni nur die Wege wandeln, die die Zukunft des
deutschen Volkes nicht gefährden. Mit dem mir anvertrauten Pfund der
nationalen Wohlfahrt, Ehre und Zukunft spiele ich nicht va banque, dazu
bin ich zu gewissenhaft und zu patriotisch, dazu bin ich auch zu klug.
Die Politik eines großen Landes kann nicht nach Sympathien und
Antipathien, sondern nur im Hinblick auf die allgemeine Weltlage geführt
werden. So einfach und leicht ist unsere Stellung in Europa und in der
Welt denn doch nicht, daß wir uns den Luxus gestatten könnten, unpoliti-
schen Gefühlswallungen nachzugeben. Eine von innerpolitischer Tendenz
beeiuflußte auswärtige Politik, wie sie bei uns manche Konservative,
Agrarier, auch nationalliberale Industrielle gegenüber England möchten,
wie sie Demokraten und Sozialdemokraten gern gegenüber Rußland sähen,
ist immer falsch. Um das Schiff des Reiches zwischen Klippen in Süd und
Nord, in Ost und West kindurchzusteuern, dazu bedarf es der Abwesenheit
von vorgefaßten Meinungen, von jeglicher Sentimentalität, eines klaren
Kopfes und einer ruhigen Hand. Ich wünsche mit England in guten Be-
ziehungen zu bleiben, im Zeichen der Gleichberechtigung und auf der Basis
voller deutscher Selbständigkeit. Als Festlandsdegen Englands dürfen wir
une nicht mißbrauchen lassen, am wenigsten gegen Rußland. Unser Ver-
hältnis zu einem großen Reich wie England muß mit nationalem Selbst-
bewußtsein, es muß aber auch mit ruhiger Vernunft, ohne unklare Leiden-
schaften behandelt werden. Die Stimmung des deutschen Volkes gegen
England zu erbittern, immer und überall gegen England zu hetzen, kleine
Verstimmungen anzublasen, damit womöglich ein Feuer daraus entsteht,
ist nicht nur verbrecherisch, sondern auch stupide. Wir haben gar keinen
Anlaß, uns in eine Erbfeindschaft mit England zu bringen, so zu England
zu stehen, daß wir von vornherein sicher sind, es bei jeder politischen Kon-
stellation unter unseren Gegnern zu wissen. Wenn historische Notwendig-