Brief der
Kaiserin an
Bülow
246 DER SCHOKOLADENFABRIKANT MENIER
ihm während seiner Tätigkeit als Regierungspräsident in Bromberg die
Gefährlichkeit der polnischen Propaganda für Monarchie und Reich viel zu
sehr zum Bewußtsein gekommen wäre, als daß er je ernstlich an eine solche
„Tollheit‘“ wie die Wiedererweckung von Polen denken könne. Bethmann
Hullweg hat auch in der Tat seitdem und bis zu meinem Rücktritt als preu-
Bischer Minister wie als Staatssekretär des Innern im Reich mir gegenüber
den strammen Hakatisten gespielt. Er plädierte sogar mit Eifer für die Ent-
eignungsnovelle, die mir große Bedenken einflößte. Bald nach meinem
Rücktritt erwiderte er als Reichskanzler auf eine Anfrage des Ostmarken-
vereins, ob unter ihm der alte Kurs in der Ostmarkenfrage beibehalten
werden würde, mit einem pathetischen „Nunquam retroreum!“ Nicht lange
nachher fing er an, in der Ostmarkenfrage zu schwanken und zu lavieren,
um 1914, seit Beginn des Weltkriegs allmählich die Wiederaufrichtung von
Polen anzubahnen, anfänglich mehr im stillen und versteckt, dann auch
in seinen Reden und in Verhandlungen mit Wien, trotz aller Warnungen
und trotz des lebhaften Widerspruchs des preußischen Staatsministeriums.
Wie mit dem unsinnigen Ultimatum an Serbien, so bleibt auch mit dem
zweitgrößten Fehler unserer Geschichte, der Wiedererrichtung von Polen,
der Name Theobald von Bethmann Hollweg für immer verknüpft.
Der Jachtbesitzer Menier, der französische Schokoladenfabrikant, sollte
mir im Juni 1909 in Kiel begegnen, wo er mit seiner Jacht an der Kieler
Woche teilnahm. Es war an Bord dieser Jacht, bei einem von den Franzosen
gegebenen Frühstück, daß ich an dem Tage, an dem ich meinen Abschied
erbat, zum letztenmal auf dem Meer mit Wilhelm II. zusammentraf.
Ich bemübte mich während meines Urlaubs von 1906 auch brieflich,
das noch immer gereizte und unfreundliche Verhältnis zwischen dem Kaiser
und seinem Onkel, dem König von England, zu entgiften, was mir um so
gebotener erschien, als in den politischen Beziehungen zwischen den beiden
Völkern eine entschiedene Besserung eingetreten war. Leider wurden meine
ständigen Bemühungen in dieser Richtung von der sonst gütigen und ver-
ständigen Kaiserin mehr gehemmt als unterstützt. Sie schrieb mir nach
Norderney Ende Juli 1906: „Lieber Fürst! Entschuldigen Sie, bitte,
wenn ich schon wieder Ihre Norderneyer Ruhe durch diese Zeilen störe.
Ich erhielt nämlich heute ein Telegramm vom Kaiser, in welchem er mir
mitteilt, daß der König von England ihm einen Besuch machen werde,
und zwar in Friedrichshof. Bei der Abreise sagte mir der Kaiser, wenn der
König ihn besuchen wolle, könne er ja zu ihm kommen, nach Potsdam,
Wilhelmshöhe oder Homburg. Nun plötzlich soll es wieder in Friedrichshof
sein, dem Landsitz der hessischen Prinzeß, nicht einmal im eigenen
Schluß des Kaisers! Das finde ich doch eine etwas unglückliche Idee. Wie
denken Sie darüber? Meiner Ansicht nach muß der König nach allem, was