TOD FRANZ ARENBERGS 259
mich in ihm den Gedanken hervorgerufen hätten, aus dem politischen Leben
auszuscheiden. Er sehe voraus, daß es in absehbarer Zeit zu cinem Konflikt
zwischen seiner Partei und mir kommen würde, und einer solchen für ihn
peinlichen Situation möge und wolle er sich nicht aussetzen. Seine Befürch-
tungen und Sorgen waren mir unverständlich. Ich wies auf meine fast zehn-
jährige Zusammenarbeit mit dem Zentrum hin, bei der sich beide Teile gut
gestanden hätten. Ohne Ruhmredigkeit könne ich daran erinnern, daß
kürzlich nach der Annahme der Schulvorlage der preußische Episkopat mir
durch den Kardinal Kopp seine Zufriedenheit und seinen Dank hätte aus-
sprechen lassen und nur deshalb seinen Gefühlen nicht öffentlichen Aus-
druck gegeben habe, um mich nicht Verdächtigungen und Angriffen von
der anderen Seite auszusetzen. „Gerade weil meine Fraktion saturiert ist,
wird sie übermütig werden“, replizierte Arenberg. Einen Kampf seiner
Fraktion, mit der ihn tief gewurzelte Überzeugungen und Gefühle verbän-
den, gegen seinen besten Freund wolle er nicht mitmachen und sich deshalb
rechtzeitig aus der politischen Arena zurückziehen. Auch in wiederholten
Gesprächen gelang es mir nicht, Arenberg umzustimmen. Bei seiner Abreise
begleitete ich ihn an den Landungssteg. Es war das letztemal, daß ich
meinen lieben, guten Francois in diesem Leben sah. Er erkrankte nicht
lange nachher an einem schweren inneren Leiden auf dem Schlosse Pesch
in der Rheinprovinz, wo er zum Besuch bei seinem Bruder Jean weilte.
Er mußte sich unter qualvollen Schmerzen legen, um nicht wieder aufzu-
stehen. Mögen wir uns einst dort wiedersehen, wo es keine Erbärmlich-
keiten und Kleinlichkeiten, keine Bosheiten und Gehässigkeiten mehr gibt.
Wenn ich einst von jenem Schlummer,
Welcher Tod heißt, aufersteh’
Und. befreit von jedem Kummer,
Jenen schönen Morgen sch’ —
Oh, dann wach’ ich anders auf,
Schon am Ziel ist dann mein Lauf.
Träume sind des Pilgers Sorgen,
Großer Tag, an deinem Morgen.
Am 13. November 1906 eröffnete der Reichstag wieder seine Sitzungen.
Auf den nächsten Tag war die Beratung einer von dem Abgeordneten
Bassermann über auswärtige Politik eingebrachten Interpellation ange-
setzt. Es war mir erwünscht, bei diesem Anlaß nicht nur dem Reichstag
und dem deutschen Volk ein Bild unserer Gesamtlage zu geben, sondern
auch manches zu sagen, was in Paris wie in Wien, in London wie in St. Pe-
tersburg nützlich wirken konnte. Metternich hatte mir aus London ge-
schrieben, daß sein russischer Kollege Graf Benckendorff kürzlich in Paris
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Deutschland
und Rußland
1906