262 DER KOMPLIZIERTE PHILIPP EULENBURG
in Wien, vertraulich sagen, daß stark gegen mich gearbeitet würde, auch
und sogar namentlich von Philipp Eulenburg, der den Chef des General-
stabs, Hellmuth Moltke, als Reichskanzler wünsche. Eulenburg rede dem
Kaiser vor, ich sei viel kränker, als S. M. glaube. „Es geht um Bernhards
Leben.“ Übrigens würde es auch ohne den „teuren“ Bernhard und sogar
ganz gut gehen. Der Kaiser müsse die auswärtige Politik allein, unterstützt
von ihm, Eulenburg, und dem treuen Tschirschky, machen, im Innern aber
ein starker Mann, also ein General, mit eisernem Besen gründlich ausfegen.
Ob an dieser Mitteilung, die mich übrigens in keiner Weise aufregte, etwas
Wahres war, habeich nie erfahren. Richtig ist, daß, nicht lange nachdem ich
mich von Norderney über Berlin und Wilhelmshöhe nach Homburg begeben
hatte, Philipp Eulenburg den Geheimen Rat von Renvers aufsuchte, um
ihm zu sagen: wer es gut mit mir meine, müsse mirim Interesse meiner
Gesundheit raten, meinen Abschied zu nehmen. Als Renvers mich für
völlig gesund erklärte, hatte Eulenburg gemeint, daß ich dem kühlen
Blick des Arztes vielleicht so erscheinen könne, nicht aber dem besorgten
Auge des Freundes, der wisse, daß mein Leben von der baldigen Abschütt-
lung der unerträglichen Last des Reichskanzleramts abhänge.
Ich halte es auch heute nicht für ausgeschlossen, daß Eulenburg aus
wirklicher Freundschaft für mich so sprach. Er war tatsächlich eine sehr
komplizierte Natur. Wie der geistreiche Wiener Burgtheaterdirektor und
Schriftsteller Alfred Berger einmal meinte: eine Zwiebel mit sehr vielen
Häuten, bei der es schwer sei, auf den Kern zu kommen. Übrigens war
Eulenburg nicht der einzige, der mir, wenn es ihm paßte, Kränklichkeit
und Krankheiten andichtete. Auch Bethmann Hollweg erzählte, wenn er
als Reichskanzler ins Schwanken geriet, mit Vorliebe, daß meine Wieder-
berufung zum Reichskanzler ‚leider‘ durch meinen traurigen Gesundheits-
zustand ausgeschlossen wäre. Und doch hat die Vorsehung gewollt, daß
ich beide, Phili Eulenburg und Theobald Bethmann, überlebt habe, und
das, dank der göttlichen Gnade, in bester Gesundheit und ungebrochener
Kraft. „Ironie delicieuse de la divine Providence!“ pflegte in solchen Fällen
Monsignore Duchöne in Rom zu sagen.
Als ich im Spätsommer 1906, einige Tage nach dem Eingang des Wedel-
schen Bricfes, dem Kaiser auf einem Diner bei seiner Schwester, der Prin-
zessin Margarethe von Preußen, begegnete, fand ich ihn unbefangen und
liebenswürdig. Nichts konnte harmloser sein, als wie er mit seiner jüngsten
Schwester und meiner ihr seit langem befreundeten Frau konversierte und
scherzte. Auf der Svuiree, die am 22. Oktober, dem Geburtstag der Kaiserin,
im Neuen Palais stattfand, wurde ich von verschiedenen Seiten gefragt,
ob es wahr wäre, daß Hellmuth Moltke an meine Stelle treten werde. Ich
erwiderte, daß ich Moltke dankbar sein würde, wenn er mich von der Bürde