Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DER „BÖRSENJOBBER-TON“ 267 
Bernhard Dernburg. Der Kaiser gab gern seine Zustimmung. Als ich 
ihm gar erzählte, daß Dernburg bei mir in einem prächtigen Automobil vor- 
gefabren wäre, meinte er befriedigt: „Das ist recht! Ich wollte, alle meine 
Minister führen Automobil.“ Dernburg ist auch immer gut mit Seiner 
Majestät ausgekommen, obwohl er sich nur allmählich an höfische Sitten 
gewöhnte. Als einmal bei einem Diner in meinem Hause der Kaiser ihm zu- 
trank, stand er nicht auf, wie dies in solchen Fällen der Brauch war. Als 
darüber Bemerkungen laut wurden, meinte der gleichfalls anwesende, sehr 
witzige Chef des Militärkabinetts, Graf Dietrich Hülsen: „Nanu! Dernburg 
soll ja doch den Aufstand in Afrika dämpfen, da kann er doch nicht auf- 
stehen.“ 
Ich ließ es mir angelegen sein, gerade beim Zentrum Stimmung für den 
neuen Kolonialdirektor zu machen, und sagte allen Zentrumsabgeordneten, 
mit denen ich zusammentraf, ich rechnete bestimmt darauf, daß die unbe- 
gründete und schädliche Opposition gegen unsere Kolonialverwaltung jetzt 
aufhören würde. Am 28. November begründete ich vor dem Reichstag 
den Wechsel im Kolonialamt. Ich protestierte gegen das kleinliche und 
schädliche Breittreten auch der bedeutungslosesten Vorfälle, da dadurch 
unser gutes und zuverlässiges Beamtentum gekränkt würde, im Ausland 
aber ganz falsche Vorstellungen über unsere Zustände entstünden. Dann 
führte sich Dernburg mit einer sachlichen, verständigen Rede selbst ein. 
Am folgenden Tage richtete Erzberger gegen Dernburg ähnliche Angriffe, 
wie er sie schon gegen den Erbprinzen Hohenlohe häufig vorgebracht hatte, 
aber in weniger scharfem Ton als nach ihm der Zentrumsabgeordnete 
Roeren, der daraufhin von Dernburg glänzend abgeführt wurde. Unter 
lebhaftem Beifall der Rechten schloß Dernburg seine Replik mit den Wor- 
ten: „Wir werden die Missionen in den Kolonien unterstützen, denn unser 
Staatswesen ist aufgebaut auf christlicher Grundlage, und wir leben in 
einer christlichen Kultur.“ Unter vier Augen hatte Dernburg mir schon 
früher nicht ohne Stolz erzählt, daß „Pastorenblut“ in seinen Adern fließe. 
Mit gleicher Tendenz sagte mein langjähriger Freund, der ebenso unter- 
haltende und witzige wie gutmütige Paul Lindau, einmal zu mir: „Wenn ich 
nur wüßte, woher ich die verfluchte Nase habe, wo ich doch der Enkel von 
einem Superintendenten bin.“ Der Abgeordnete Roeren, ein dickköpfiger 
Westfale, Oberlandesgerichtsrat in Köln, seit jeher ein Enfant terrible der 
Zentrumspartei, der sich auch nach meinem Rücktritt als solches betätigte, 
antwortete Dernburg mit rohen und plumpen Schmähungen. Er warf ohne 
jeden Anlaß mit ungehöriger und ungezogener Anspielung darauf, daß 
Dernburg vor seiner Berufung zum Kolonialdirektor ein angesehener 
Bankier und Leiter einer geachteten Bank gewesen war, diesem „‚Börsen- 
jobber- und Kontorton“ vor, beschimpfte einen jüngeren Beamten der
	        
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