Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

272 n::. HABEN SIE DIE KRISIS!* 
von Fraktionsbeschlüssen und Parteirücksichten abhängig zu machen. Ich 
erinnerte an die Entschlossenheit, mit der andere Völker, Engländer, 
Franzosen, Holländer, ohne mit der Wimper zu zucken, ihre Kolonialkriege 
geführt hätten. Ich erklärte, daß ich das mir in den Mund gelegte einfältige 
Wort: „Nur keine inneren Krisen!“ nie gesagt hätte, und fügte hinzu: „Es 
gibt Situationen, wo ein Zurückschrecken vor Krisen ein Mangel an Mut, 
ein Mangel an Pflichtgefühl wäre. Wenn Sie wollen, haben Sie die Krisis!“ 
Ich erklärte mit erhobener Stimme, daß die in den Couloirs umhergetragene 
Behauptung, ich würde vom Kaiser geschoben, eine „dreiste Unwahrheit“ 
sei. Ich brauchte gar keine Direktiven, um zu erkennen, daß hier nationale 
Notwendigkeiten vorlägen. Ich schloß mit den Worten: „Was würde es für 
einen Eindruck machen, nach innen und nach außen, wenn die Regierung 
in einer solchen Lage, in einer solchen Frage kapitulieren und nicht die 
Kraft in sich finden sollte, ihre nationale Pflicht zu erfüllen? Wir werden 
unsere Pflicht tun im Vertrauen auf das deutsche Volk.“ Die Sozialdemo- 
kraten zischten, die Mehrheit brach in Beifall aus. In der nun folgenden 
namentlichen Abstimmung wurde die Regierungsvorlage mit 177 gegen 168 
Stimmen abgelehnt. Nachdem ich das Wort erbeten hatte, erhob ich mich 
und erklärte: „Ich habe dem Reichstag eine kaiserliche Verordnung 
mitzuteilen.“ Als ich nun die rote Mappe hervorholte, erscholl auf der 
Rechten stürmischer Beifall, die Nationalliberalen und die Freisinnigen 
klatschten mit den Händen, die Sozialdemokraten, die mit Sicherheit auf 
einen großen Sieg bei den Wahlen rechneten, schrien vor Vergnügen. Das 
Zentrum schwieg betreten und ärgerlich. Der allgemeine Lärm wurde über- 
täubt von dem Jubel und Händeklatschen der Zuhörer auf den Tribünen. 
Ich verlas die kaiserliche Verordnung, durch die der Reichstag aufgelöst 
wurde. Das Verlesen der aus Bückeburg datierten Verordnung wurde 
wiederum von den Konservativen, den Liberalen und den Tribünen mit 
fortgesetztem Händeklatschen begrüßt. Vom Zentrum hatte, seiner mir 
gegebenen Zusage entsprechend, Graf Ballestrem demonstrativ für die 
Regierung gestimmt, außer ihm noch drei Zentrumsabgeordnete, unter 
ihnen der Sohn des Begründers der Zentrumsfraktion, der Abgeordnete 
von Savigny. Als ich den Reichstag verließ, meinte Ballestrem elegisch: 
„Mein Nachfolger auf dem Präsidentenstuhl wird wohl der sozialistische 
Abgeordnete Singer werden.‘ Herr von Heydebrand, der sehr perplex war, 
murmelte etwas von einem „Husarenstreich“ des ehemaligen Königs- 
husaren. 
Unbekümmert um das nicht zu rechtfertigende Verhalten der Zentrums- 
Ein Brief des partei mir gegenüber, hatte ich einige Tage nach der Auflösung des Reichs- 
Kardinals tags dem Fürstbischof von Breslau, Kardinal Kopp, in gewohnter Weise 
Kopp and in voller Aufrichtigkeit meine Wünsche zum Weihnachtsfest darge-
	        
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