2706 IN DER KAMPAGNE ALLEIN
Wi Luet ut us butjenterland
Sünt van jo wohl red entflammt!
Us makt unmannig viel Vergnuegen
Dat rot und swart ehr fett hebt kreegen:
Drum ducht us dat just nich verkehrt
wenn wie jo hartlich gratuleert!
Es kam nun darauf an, den Strom der nationalen Erregung und Be-
Der geisterung auf die politische Mühle zu leiten. Der Wahlkampf begann.
Wahlkampf Meine natürlichen Stützen in diesem Kampf wären der preußische Minister
beginnt ges Innern Bethmann Hollweg und der Staatssekretär des Innern im Reich
Graf Posadowsky gewesen. Aber der letztere war aus den schon von mir
angedeuteten Gründen ein Gegner der Auflösung gewesen. Ich glaubte mich
nicht zu irren, wenn ich annahm, daß ein Mißerfolg meines Wahlkampfes
ihn nicht gerade betrübt haben würde. Bethmann war kein finsterer
Verrina, der seinen Fiesko samt dem Mantel in das Meer stürzt, aber er
lebte in Abstraktionen, d. h. in wolkenhaften Gebilden ohne Kern. Er war
durch und durch doktrinär, dabei ein Zauderer, der schwer zu einem Ent-
schluß kam, er war vor allem sehr ängstlich. So mußte ich die Wahl-
kampagne allein führen. Aber ich hatte an meiner Seite in dem Chef der
Reichskanzlei, dem damaligen Geheimen Rat, späteren Staatsminister von
Loebell, den besten aller Mitarbeiter. Loebell war ein wirklich guter
Mensch, was selten ist, ein lauterer Charakter, ein goldenes Herz. Sein
Wesen war Treue: Treue für Preußen und Deutschland, für den König und
Kaiser, für mich, seinen Vorgesetzten und Freund. Dabei ein unermüdlicher
Arbeiter, was ihn leider nur zu oft dazu verleitete, seine Kräfte zum Schaden
seiner Gesundheit zu überspannen. Ein klarer Verstand. Er hat vielleicht
bisweilen die Menschen zu günstig beurteilt, aber nie einem Menschen
wissentlich etwas Böses angetan. Er sprach und schrieb gleich gut. „Fortes
creantur fortibus et bonis“, sagt Horaz. Loebells Vater, ein Urmärker,
hatte viele Jahre bei den Brandenburger Kürassieren gestanden, er war
mit ihnen 1870 nach Frankreich gezogen und verbrachte, nachdem er
seinen Abschied als Major genommen hatte, seinen Lebensabend in seiner
alten Garnison, in Brandenburg an der Havel, wo er eine Kurie bewohnte.
Wer ihn, der über neunzig Jahre geworden ist, mit seiner nur wenige Jahre
jüngeren Frau unter einer alten Linde vor seinem Häuschen sitzen sah,
glaubte Philemon und Baucis vor sich zu sehen. Der Sohn Loebell war
mein immer wachsamer, immer arbeitsfreudiger, intelligenter Gehilfe und
Berater für die Fühlungnahme mit den Parteiführern wie mit dem
Beamtenkörper in den Provinzen. Er teilte meine Ansicht, daß es nicht
auf diesen oder jenen Parteibonzen, überhaupt nicht auf kleine Mittel
ankomme, sondern darauf, im Lande eine Strömung hervorzurufen, die