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partei in denselben Topf mit der Sozialdemokratie geworfen hätte. Ich
entgegnete, daß mir dies nie eingefallen wäre, wobl aber hätte ich zu meinem
Erstaunen und zu meinem Bedauern plötzlich das Zentrum in dem Topf
der sozialdemokratischen Partei gefunden, der Sozialdemokratie, die ein
großes katholisches Blatt noch vor einigen Monaten die Partei der Christus-
feindlichkeit genannt hatte. Man sündige nicht ungestraft gegen große
ethische Gesichtspunkte. Ich wandte mich scharf gegen den albernen Vor-
wurf, ich hätte die Wahlen in unzulässiger Weise beeinflußt. In jedem Lande
der Welt nehme die Regierung für sich das Recht in Anspruch, bei den
Wahlen die Wähler aufzuklären über ihre Absichten und über die Absichten
ihrer Gegner. Dieses Recht nähme ich auch für mich in Anspruch. Unter
stürmischem Beifall und Händeklatschen der Mehrheit fügte ich hinzu:
„Von diesem Rechte werde ich, wenn ich dann noch an dieser Stelle stehe,
bei künftigen Wahlen sogar noch in viel weiterem Umfange Gebrauch machen.
Da werde ich Ihnen, meine Herren von der äußersten Linken, noch ein ganz
anderes Lied vorblasen.‘“ Wer in diesem Wahlkampf gesiegt habe, sei das
deutsche Volk. Ich würde mir in dem Schutz aller nationalen Arbeit, in der
gleichmäßigen Berücksichtigung der Interessen aller Erwerbszweige, in
dem vollen Schutze für die Landwirtschaft, in der Förderung der Industrie
und vor allem in der Fürsorge für die Arbeiter treu bleiben. Diese Politik
betrachte ich als mein eigenstes Werk, das ich nicht zerstören lassen würde.
Dazu hätte ich um so weniger Veranlassung, als sich diese meine Politik
durchaus bewährt habe, wirtschaftlich und auch politisch bei den Wahlen.
Als der Abgeordnete Bebel mir vorwarf, daß ich nirgends mehr Vertrauen
fände, selbst die Alldeutschen und der Flottenverein wollten nichts mehr
von mir wissen, weil sie mich zu schwächlich fänden, allein die Soziuldemo-
kratie vertrete den Fortschritt, deshalb würde ich auch nervös, sobald die
Rede auf die Sozialdemokratie käme oder wenn ich Bebel vor mir sähe,
antwortete ich: „Ach du lieber Himmel! Ich nehme die sozialdemokratische
Gefahr ernst, ich nehme sie sehr ernst, aber nervös macht sie mich nicht.“
Ich machte kein Hehl daraus, daß es eine Zeit gegeben habe, wo ich Hoff-
nungen, ernste Hoffnungen auf die Revisionisten gesetzt hätte. Aber nach
dem Kotau der Revisivnisten vor der fanatischen, terroristischen Mehrheit
der Partei hätte ich solche Hoffnungen aufgeben müssen. Solange die Sozial-
demokratie eine so unpatriotische Haltung einnehme, wie sie dies in Deutsch-
land tue, solange sie öffentlich erkläre, daß sie nur so weit patriotisch wäre,
als ihr Parteiprinzip dies zulasse, wäre keine Verständigung mit ihr möglich.
Die Mehrheit ermahnte ich, es nicht zu machen wie die alten Deutschen, die,
wenn sie gesiegt hatten, nachher auf dem Bärenfell und vor dem Methorn
alles vergaßen. „Dann kamen die Feinde, überfielen sie und besiegten sie
schließlich doch. Wir müssen wach bleiben!“