Bankett des
Landwirt-
schaftsrats
284 DER AGRARISCHE REICHSKANZLER
Auf dem Festmahl des Deutschen Landwirtschaftsrats vom 14. Mai 1907
hob ich hervor”, daß ich in meiner Stellung zur Landwirtschaft der alte
bleibe. Wenn ich mich einmal aus dem öffentlichen Leben zurückzöge, der
Augenblick werde ja mal kommen, wenn auch vielleicht nicht so bald, wie
das dieser oder jener wünsche, so möge man auf meinen politischen Leichen.
stein schreiben: „Dieser ist e ein agrarischer Reichskanzler gewesen“. Es
würde auch in der Zukunft N heiten zwischen mir und
dem Bund der Landwirte neben. denn für mich könne es nur eine einzige
Richtschnur geben: das wohlerwogene Gesamtinteresse des Landes. Darum
könne ich mich nie einer Partei, einer Richtung ganz zu eigen geben. Ich
hoffe aber, es würde zwischen mir und den Landwirten gehen wie in einer
guten Ehe, wo man sich zunächst hier und da zanke, bis man sich kennen-
lerne und dann aneinander gewöhne und ineinander finde. Ich erklärte den
um mich versammelten, ganz überwiegend konservativ und zum Teil selbst
ultrakonservativ gesinnten Landwirten, daß ich entschlossen wäre, eine
Reform des Vereins- und Versammlungsrechts, des Strafrechts und der
Strafprozeßordnung im liberalen Sinne durchzuführen. Ein führender
Staatsmann dürfe nicht zögern, unzeitgemäße Zustände durch sachgemäße
Reformen zu ändern. Auch eine Reform des Börsengesetzes würde ich in
Angriff nehmen. Die Landwirtschaft habe gar kein Interesse daran, daß
durch die einige Jahre früher durchgeführte Börsengesetzgebung Treu und
Glauben im Geschäftsverkehr erschüttert würden. Sie habe im Gegenteil
ein Interesse daran, daß unsere Börse gegenüber den Börsen des Auslandes
nicht in den Zustand der Inferiorität gerate, daß der hohe Bankdiskont,
der mit eine l'olge unserer verfehlten Börsengesetzgebung sei, herabgesetzt
werde. Die Landwirtschaft habe gar kein Interesse daran, daß die Börsen
von Paris und London die Berliner Börse überflügelten, kein Interesse,
daß das deutsche Kapital in das Ausland wandere, kein Interesse, daß die
kleinen Banken aufgesogen würden durch die großen. Die Landwirtschaft
habe vielmehr ein Interesse daran, daß die Börse als hochwichtiges Wirt-
schaftsinstrument erhalten und leistungsfähig erhalten würde. Wir hätten
in Deutschland noch viel zu viel Vorurteile bei allen Parteien, in allen
Schichten, in allen Lagern. „Wir haben viel zu viel vorgefaßte Meinungen,
die wie Scheuklappen den Blick einengen.“ Vor Jahren sagte mir einmal
ein liberaler Professor, ein ganz verständiger Mann: „Wie können Sie, Herr
Reichskanzler, eine agrarische Politik machen, wo Sie doch so gebildet sind ?“*
Als ob man nicht ganz gebildet und dabei ein Stockagrarier sein könnte. Es
gibt aber auch Konservative und Agrarier, die in Handel und Börse ein un-
eittliches, jedenfalls ein verderbliches Element sehen. Dassind Scheuklappen,
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III, 247; Reclam-Ausgabe IV, 317.