Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DEUTSCHE PROFESSOREN 285 
die wir ablegen müssen, Einseitigkeiten, die man in anderen Ländern nicht 
kennt, wo das Gefühl der Solidarität der verschiedenen Seiten des Wirtschafts- 
lebens und der Notwendigkeit ihrer Vereinigung im Interesse des Ganzen 
stärker entwickelt ist, als das bei uns bisher der Fall war. 
Nicht nur aus politischen Kreisen kam mir Zustimmung, sondern auch 
aus den Reihen der Führer des geistigen Lebens der Nation, mit denen 
enge Beziehungen zu unterhalten mir von jeher am Herzen gelegen hatte. 
Ich weiß wohl, daß man gegen die politische Tätigkeit des deutschen Pro- 
fessors manches sagen kann und daß er sich weder 1848 in der Frankfurter 
Paulskirche noch vierzehn Jahre später in seinem Kampf gegen Bismarck 
während der Konfliktszeit mit Ruhm bedeckt hat. Ich gebe auch zu, daß 
er im Weltkrieg durch verstiegene Gedankengänge und weltfremde Vor- 
schläge, durch kindlichen Pazifismus und dann wieder durch aggressiven 
Chauvinismus, durch plump zur Schau getragenen geistigen Dünkel und 
monotones, witzloses Ableiern der alten, zu Phrasen gewordenen Prahle- 
reien von der „alle und alles überragenden deutschen Kultur“ und der un- 
überwindlichen deutschen „wissenschaftlichen Methode“, kurz: durch 
Mangel an Psychologie, an Geschmack, an Takt, unseren Feinden nur zu 
oft Gelegenheit bot, uns zu verdächtigen, zu verleumden oder wenigstens 
zu verspotten. Professoren wie Lasson und Sombart, Hans Delbrück und 
Johannes Haller, Theodor Schiemann und Adolf Harnack haben manchen 
Unsinn gesagt und viel Schaden angerichtet. Der sozialdemokratische 
Professor Leo Arons hatte nicht ganz unrecht, wenn er einmal schrieb, daß 
nach den Blößen, die sich der deutsche Professor politisch im Weltkrieg 
gegeben habe, er gut daran tun würde, sich auf lange hinaus eines vor- 
sichtigen Schweigens zu befleißigen. Das verhindert aber nicht, daß der 
deutsche Gelehrte, dessen nächtliche Lampe den ganzen Erdball erleuchtet, 
der höchsten Achtung würdig ist und daß er jetzt, in der Zeit der Not, 
bei der akademischen Jugend mit Ernst den nationalen Gedanken hütet 
und pflegt. 
Meine besondere Verehrung hat immer Gustav Schmoller gegolten. 
Als Primaner des Pädagogiums in Halle hatte ich ihn zuerst erblickt. Er 
war kaum achtundzwanzig Jahre alt, sein Haupthaar und sein Bart waren 
pechschwarz, er hielt feurige Ansprachen an die Studenten, die ihn ver- 
götterten. Ich habe ihn damals eine solche Rede aus dem Fenster eines 
Hauses am Marktplatz halten hören, ohne daß ich ihn persönlich gekannt 
hätte. Dann trat er mir geistig nahe, als ich während meiner Pariser Tätig- 
keit ein eifriger Leser des von ihm herausgegebenen „Jahrbuch für Gesetz- 
gebung, Verwaltung und Volkswirtschaft‘ wurde. Ich entsinne mich, daß 
ich in dem herrlichen Wald von Fontainebleau einen ganzen langen Sommer- 
tag Schmoller las und meditierte. Sein „Grundriß der allgemeinen Volks- 
Brief 
Gustav 
Schmollers
	        
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