Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE LIEBENBERGER TAFELRUNDE 291 
pathologisches Mißtrauen zeigte, das ihm falsche Bilder vorspiegelte und 
ihn dann zu hyänenhafter Verfolgungssucht verleitete, würde wohl nur ein 
erfahrener Psychiater Ursprung und Berechtigung dieser Entzweiung 
feststellen können. Aus dem Zusammenstoß dieser beiden Männer, deren 
jeder lange Jahre eine maßgebende Rulle gespielt hatte, stiegen nach und 
nach üble Dünste empor, die die Atmosphäre des öffentlichen Lebens in 
Deutschland vergifteten und grell kontrastierten mit dem glanzvollen 
Aufschwung, den der nationale Gedanke anläßlich der Reichstagsauflösung 
erlebt hatte. 
Im Mai 1906 hatte mir Eulenburg sehr erschrocken mitgeteilt, daß ihm 
Holstein bald nach seinem Rücktritt plötzlich einen über alle Maßen be- 
leidigenden Brief geschrieben habe, der mit den Worten anfing: „Mein 
Pbili! Dieser Anruf ist kein Zeichen der Hochschätzung, denn ‚Phili‘ be- 
deutet beute unter Zeitgenossen — nichts Gutes. Ihr langjähriges Ziel, 
meine Beseitigung, ist nun endlich erreicht. Auch sollen die gemeinen Preß- 
angriffe gegen mich gerade Ihren Wünschen entsprechen.“ Den Rest des 
Hulsteinschen Briefes teilte mir Eulenburg nicht mit, da der Inhalt gar 
ru abscheulich sei. Eulenburg schrieb mir weiter, daß dieser Brief ihn um so 
tiefer getroffen habe, als er sich schon vor Empfang dieser ihn aufs höchste 
aufregenden Post krank und recht angegriffen gefühlt hätte. Er habe sich 
aber gesagt, duß, um seinen heißgeliebten Kindern einen in seiner Ehre 
intakten Vater, dem Kaiser einen intakten Freund zu erhalten, Blut fließen 
müsse. Obwohl ein prinzipieller Gegner des Duclls, trotz dem Bewußtsein, 
dem Mittelalter eine Konzession zu machen, die der gesittete Brauch 
anderer Kulturländer ablehne, habe er Holstein fordern lassen. In einer 
langen Denkschrift, die er mir übersandte, führte er weiter aus, daß sein 
Freund, der württembergische Gesandte Baron Axel Varnbüler, als sein 
Sekundant die Angelegenheit in der Weise in Ordnung gebracht bätte, 
daß Eulenburg auf Ehrenwort erklärte, er habe weder bei der Entlassung 
von Holstein mitgewirkt, noch sich an Angriffen der Presse gegen ihn 
beteiligt, Holstein dagegen die von ihm in seinem Brief an Eulenburg 
gebrauchten, im höchsten Grade beleidigenden Ausdrücke zurückgenom- 
men habe. Bald nachher brachte die Berliner „Zukunft“ sehr scharfe An- 
griffe gegen Philipp Eulenburg, dessen Freund, den Kommandanten von 
Berlin, Graf Kuno Moltke, und die „Liebenberger Tafelrunde‘“, die be- 
schuldigt wurde, durch ihre nahen Beziehungen zum Kaiser politisches 
Unheil anzustiften. In diesem Kreise sollten, so hieß es in der „Zukunft“, 
Spiritismus, Gesundbeterei „und andere krankhafte Neigungen“ herrschen. 
Ich ließ Philipp Eulenburg zu mir bitten. Wie ich ausdrücklich betonen 
möchte, war ich fest überzeugt, daß der gegen Eulenburg erhobene Vor- 
wurf perverser Neigungen unbegründet wäre. Sein überaus herzliches Ver- 
10° 
Die Angriffe 
der „Zukunft“
	        
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