292 DER EULENBURG-SKANDAL
hältnis zu seiner Frau und zu seinen Kindern, die schwärmerische Liebe,
mit der seine gute, ausgezeichnete Frau an ihm hing, ließen mir diese Ver-
dächtigung als eine Ungehenuerlichkeit erscheinen. Es kam dazu, daß, als
sein einziger Bruder, der Rittmeister Graf Friedrich Eulenburg, solcher
Verfehlungen überführt wurde, Philipp Eulenburg sich mit, wie mir schien,
ganz ehrlichem Abscheu von ihm losgesagt hatte. Ich habe das bereits
erwähnt. Auch hatte Philipp Eulenburg mir einige Zeit vorher anvertraut,
daß eine „edle“ Frau, mit der er vor Jahren eine Liebelei gehabt hätte,
dadurch in eine schreckliche Lage gekommen wäre. Ihr Mann, ein Spieler
und Lump, drohe mit Skandal und Scheidung; es wäre eine größere Summe
nötig, um diesen Erpresser zum Schweigen zu bringen. Alles schien mir
dafür zu sprechen, daß Philipp Eulenburg unnatürliche Laster mit Un-
recht nachgesagt würden. An dieser Überzeugung habe ich bis zu jenem
Münchener Prozeß festgehalten, bei dem der unglückliche Eulenburg unter
der Aussage eines Starnberger Fischers zusammenbrechen sollte. Ich habe
gelegentlich hören müssen, daß ich in Philipp Eulenburg ein wenn auch nicht
leichtfertiges, so doch unvorsichtiges Vertrauen gesetzt hätte. Ich kann
mich darauf berufen, daß auch der verehrungswürdige Graf Botho Eulen-
burg, der seinen Vetter seit dessen Kindheit kannte, ihn bis zu der Mün-
chener Bloßstellung widernatürlicher Verfehlungen für unfähig hielt. Daß
Philipp Eulenburg in seinen Briefen oft in einen allzu süßlichen Ton ver-
fiel, machte mich nicht irre. Wie schwärmerische Briefe schrieben sich die
Mitglieder des Göttinger Hainbundes! Der fast achtzigjährige, feierliche,
eher steife Goethe schreibt an seinen gleichaltrigen Freund, den Musiker
Zelter, er könne den Augenblick nicht erwarten, wo er ihn, den Geliebten,
wieder in seine Arme schließen würde. Aber wenn ich im Frühjahr 1907 an
der Intaktheit von Eulenburg noch nicht zweifelte, so wußte ich doch
nur zu gut, daß er zu spiritistischem Unfug neigte, obwohl ich ihn mehrfach
gewarnt hatte. Ich kannte sein neurasthenisches Naturell und wußte, daß
schon der seinerzeit von Marschall kurz vor seinem Rücktritt angestrengte
Prozeß Tausch, in dem Eulenburg als Zeuge vorgeladen wurde, ihn ent-
setzlich aufgeregt und beinahe auf das Krankenbett geworfen hatte. Ich
war also bestrebt, wenn irgend möglich, einem Prozeß vorzubeugen. In
diesen meinen Bemühungen unterstützte mich sowohl Walter Rathenau,
damals ein intimer Freund von Maximilian Harden, den ich persönlich noch
nicht kannte, wie der gleichfalls mit Harden befreundete Leiter des Deut-
schen Schauspielhauses in Hamburg, der geistig bedeutende und dabei
warmbherzige und hilfsbereite Baron Alfred Berger, der Gatte der großen
Schauspielerin Stella Hohenfels. Ich werde im nächsten Kapitel darlegen
müssen, wie trotz der redlichen und klugen Bemühungen von Rathenau
und Berger, und obwohl Eulenburg selbst sich einem Prozeß in jeder Weise