298 ZWISCHEN SZYLLA UND CHARYBDIS
Abrüstung mußte ich, wie in so manchen anderen Fragen, den Weg zwischen
Szylla und Charybdis nehmen, die Mittelstraße, die in diesem Falle die
richtige war. Ich habe natürlich nie daran gedacht, die Sicherheit des
Landes scheinheiligen Versicherungen unserer Feinde und Neider, hohlen
Phrasen weltfremder, bisweilen auch unehrlicher Schwärmer zu opfern.
Das brauche ich nicht weiter zu begründen, nachdem die Sieger des Welt-
kriegs, sobald sie mit Ililfe der auf die eiulältigen deutschen Pazifisten
berechneten „Vierzehn Punkte“ Wilsons ihr Spiel gewonnen hatten, die
pazifistische Maske abgeworfen haben und uns unverhüllt ihr grinsendes,
grausames Antlitz zeigten. Der Vertrag von Versailles, der nicht nur allen
pazifistiischen Ideen und Grundsätzen ins Gesicht schlägt, allen Bestre-
bungen [ür Völkerversöhnung und Völkerbund den Boden entzieht, son-
dern der in seinem ganzen Aufbau wie in seiner Ausführung ein Hohn auf
Gerechtigkeit und Vernunft, auf Treue und Redlichkeit ist, zeigt zu deut-
lich, wie innerlich verlogen die feindliche Propaganda uns gegenüber ist
und von jeher war. Um so trauriger, daß aus Einfältigkeit und Verblendung,
bisweilen auch aus niederträchtiger Parteiverbissenheit oder erbärmlichen
persönlichen Motiven ınanche Deutsche solchem Treiben unserer Feinde Vor-
schub geleistet haben. Das Brandmal der Schande und Infamie, das die Ge-
schichte auf die Stirn des Ephialtes und des Judas Ischariot drückte, haftet
fürimmer an den Namen Grelling und Eisner, Friedrich Wilhelm Förster und
Fechenbach. Aber gerade weil ich die Verlogenheit der Deutschland feind-
lichen Propaganda auf Grund eigener und langjähriger Erfahrung im Aus-
land nur zu wohl kannte, war ich bemüht, den Kaiser von Reden und Gesten
abzuhalten, die ihn als einen Friedensstörer erscheinen ließen, der er gar
nicht sein wollte und tatsächlich auch gar nicht war. Ich hatte ihn schon im
Mai 1899 bei dem ersten Friedensvorschlag des Zaren ermahnt, nicht die
odiose Rulle des Störenfrieds zu spielen, der die edlen Pläne der Friedens-
freunde vereitle und die Schuld trüge, wenn die Welt unter der Last
wachsender Militärausgaben seufze. Darum bestand ich auch jetzt, acht
Jahre später, gegenüber dem anfänglichen Widerspruch Seiner Majestät
auf unserer Teilnahme an der zweiten internationalen Friedenskonferenz.
Wie ich schon öfters hervorheben mußte, gefiel sich Wilhelm II., der im
Kern seines Wesens ein echter und ernster Friedensfreund und jedenfalls im
Handeln ein aufrichtigerer Pazifist war als mancher andere Souverän und als
die meisten demokratischen Schwätzer im Inlande und namentlich im
Auslande, mit der ihm eigenen Zwiespältigkeit des Wesens, mit seiner so
häufigen Verwechslung von Schein und Wesen darin, pazifistischen Bestre-
bungen nach aulien hin ablehnend gegenüberzutreten und, wo sich eine
passende oder auch unpassende Gelegenheit bot, die Schale seines Spotts
über solche Bestrebungen auszugießen.