DER NEUE STAATSSEKRETÄR DES ÄUSSERN 301
geneigt, die „gekränkte Leberwurst‘‘ zu spielen, wie in seinem drolligen
Jargon der Berliner sich ausdrückt. Da der Kaiser gleichzeitig auf der
Abberufung des allerdings schon fünfundsiebzigjährigen, selbst dem damals
ziemlich bequemen Posten des Statthalters von Straßburg nicht mehr
gewachsenen Fürsten Hermann zu Hohenlohe-Langenburg bestand, so
ergab sich die Notwendigkeit eines umfassenden Revirements. Eine große
Schwierigkeit meines Amtes war von Anfang an für mich gewesen, der nicht
bös gemeinten, meist aus gütigem Herzen hervorgehenden, aber nicht immer
den Interessen des Dienstes entsprechenden Einmischung des Kaisers in
Personalien zu begegnen. Bei seiner Vorliebe für Tschirschky würde der
Kaiser dessen Enthebung von dem Posten des Staatssekretärs nie zuge-
stimmt haben, wenn der „allezeit Getreue“, der zwar im Reichstag nicht
sprechen konnte, Seiner Majestät aber nie widersprach, nicht ein ausrei-
chendes Äquivalent erhalten hätte, Ich muß übrigens zugeben, daß
Tschirschky den Posten des Staatssekretärs nur ungern übernommen hatte.
Er hatte mir im Augenblick seiner Ernennung in wehmütigem Tone ge-
schrieben: „Euer Durchlaucht ist nicht unbekannt, daß mein Sinn nie
darauf gerichtet gewesen ist, in der Öffentlichkeit irgendeine Rolle zu spie-
len. Die ganze Anlage meiner Natur liegt nicht in dieser Richtung.“ Nach-
dem er dargelegt hatte, daß und warum das Glück im Winkel mehr sein
Ideal sei als rauschende Erfolge auf der Agora, daß ihm die Nerven fehlten,
um dem Parlament gegenüber wirksam aufzutreten, bat er darum, ihm die
parlamentarischen Pflichten seines Amtes „durch Unterstützung von
anderer Seite‘ zu erleichtern.
Da ich bei meiner geschäftlichen Überlastung unmöglich jede an den
Staatssekretär des Auswärtigen Amts gerichtete Anfrage in der Kom-
mission oder im Plenum selbst beantworten konnte, wir in Deutschland
auch keine besonderen Sprechminister hatten, wie ihn das zweite Kaiser-
reich in Frankreich in Rouber besaß, und endlich der Unterstaatssekretär
auch nicht nach parl ischen Triumphen verlangt, trennte
ich mich von Tschirschky. Als dessen Nachfolger verlangte der Kaiser einen
ihm „sympathischen“ Diplomaten, was leider nicht immer ein Beweis für
die Tüchtigkeit des Betreflenden war. Endlich wünschte Seine Majestät
nach Straßburg einen General zu setzen, entweder den Chef des Militär-
kabinetts Dietrich Hülsen oder den Kommandanten des Großen Haupt-
quartiers, den General von Plessen. Ich entschloß mich schließlich zu einer
auf gegenseitigen Zugeständnissen beruhenden Lösung, durch die
Tschirschky nach Wien kam, der bisherige Botschafter in Petersburg,
Herr von Schön, Staatssekretär des Äußern wurde und der bisherige Bot-
schafter in Wien, Graf Karl Wedel, Statthalter von Elsaß-Lothringen.
Die letztere Wahl war die einzige wirklich gute. Tschirschky war im Grunde