Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

310 KEIN EINGRIFF IN DEN PROZESS 
brauchen wäre, so fand ich es doch übertrieben, wenn er hinzufügte, er habe 
seine Tochter für immer verstoßen, ihr Name dürfe in seinem Hause nicht 
mehr genannt werden, sein schönes Familienleben wäre unwiderruflich 
zerstört, besser, der Tod hätte ihm diese unwürdige Tochter entrissen, 
niemand werde ihn und die Seinigen mehr achten können, seine Qual sei 
„unsäglich“. Sein Brief an den Kaiser schloß: „Wenn ich ruhiger bin, kann 
ich Eurer Majestät mündlich gelegentlich Näheres mitteilen, heute muß ich 
Unglücklicher schließen.‘ Mir schrieb Eulenburg in einem kurzen Begleit- 
schreiben: „Ich leide so furchtbar, daß mir jedes Wort eine Qual ist. Mein 
Leben hatte viel Sonnenschein, jetzt kommen die tiefen Schatten. Es ist 
Zeit, heimzukehren — Gott wolle mir in Gnaden bald das Ende geben.“ 
Ich schrieb Eulenburg einen freundschaftlichen, herzlichen Brief, um 
ihn zu beruhigen und wieder aufzurichten. Ich schrieb, es wäre doch nicht 
das erstemal, daß ein junges Mädchen über alle Hürden springe, um dem 
Mann ihrer Liebe zu folgen. Kein zurechnungsfähiger Mensch würde des- 
wegen auf ihn und seine Familie einen Stein werfen. Ich glaubte nach wie 
vor an die sittliche Reinheit von Eulenburg, aber die Ängstlichkeit, mit der 
er den Prozeß Moltke-Harden verfolgte, der zur Freisprechung des Schrift- 
stellers Maximilian Harden führte, begann auch mich zu beunruhigen, 
obwohl ich seit langem wußte, wie neurasthenisch Eulenburg war. Er hörte 
nicht auf, mich brieflich zu bitten, ich möge darauf hinwirken, daß in dem 
in Rede stehenden Prozeß sein, Eulenburgs, Name nicht genannt und er in 
keiner Weise in diesen Prozeß hineingezogen werde. „Dieser. Prozeß“, 
schrieb er mir, „ist für mich, wenn ich auch tatsächlich nichts zu fürchten 
habe, doch ein Schrecken, weil ich so krank bin, weil meine Nerven so 
zerrüttet durch die namenlos schwere Zeit sind, die ich körperlich und see- 
lisch durchzukämpfen hatte, daß mich der Gedanke, wiederum durch alle 
Gossen geschleift zu werden, geradezu mit Entsetzen erfüllt und ich das 
Gefühl habe, solchen Qualen nicht gewachsen zu sein. Abgesehen davon, 
halte ich eine neue Auflage der Hardenschen Skandale für eine Gefahr. 
Nachdem ‚man‘ durch die Eile, mit der allerhand Entlassungen stattfanden, 
eine tiefe Verbeugung vor diesem Judenbengel gemacht hat, würde jeder 
neue Skandal, der natürlich europäische Formen annimmt, geradezu 
staatsgefährlich sein. Wie man aber den Prozeß und weiteren Skandal 
verhindern könnte, das weiß ich wahrhaftig nicht. Trotz allen Grübelns 
fällt mir nichts ein als höchstens die Instruktion an den Vorsitzenden, 
jedes Wort abzuschneiden, das nicht streng auf die Beleidigung Kunos 
Bezug hat.“ Ich mußte ihm natürlich antworten, daß ich als höchster 
Reichsbeamter in den Gang der unabhängigen Justiz nicht eingreifen 
könne. Anfang Januar 1907 hatte ich Eulenburg, der, noch ganz erfüllt von 
der Flucht seiner Tochter, mich besuchte, geraten, diesen an und für sich ja
	        
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