Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Ernster Vor- 
trag Bülows 
318 EDUARD VII, DER „BÖRSENMAKLER“ 
der Kaiser von dem eben aus London zurückgekehrten Ballin erhalten 
haben wollte, die aber wohl mehr den Wünschen und der lebhaften Phanta- 
sie Seiner Majestät entsprangen als dem Kopf des Leiters der Hapag. 
Die Politik des Königs Eduard werde in England allgemein kritisiert, seine 
Deutschfeindlichkeit überall scharf verurteilt. Sir Richard Henderson, 
der größte englische Schiffsreeder, habe in einem vornehmen Londoner 
Klub unter allgemeinem Beifall und Händceklatschen die Politik des 
Königs in Grund und Boden verdammt. Sir Ernest Cassel, der bekannte 
Londoner Bankier und intime Freund des Königs Eduard VII., von Geburt 
Kölner, hätte im Auftrag des englischen Königs Ballin gesagt, der Deutsche 
Kaiser möge endlich mit dem Flottenbau aufhören. Der König glaube nicht, 
daß der Kaiser ihn überfallen wolle, aber wenn er sterbe, dann werde es 
über seinen Sohn hergehen, und dem wolle Eduard VII. vorbauen. Ballin 
hätte geantwortet, wenn ein so unerhörtes Postulat von England oder 
gar von England, Rußland und Frankreich an Deutschland gestellt würde, 
dann gebe es für den Kaiser nur eine Antwort: die Mobilmachung! Die 
Revaler Zusammenkunft, hieß es weiter in dem Brief Seiner Majestät 
an mich, wäre Geldgeschäfte wegen arrangiert worden. Cassel und sein 
Strohmann Lord Revelstoke sollten eine Anleihe für Rußland machen. 
Damit sie reüssiere, hätten sie König Eduard veranlaßt, nach Reval zu 
gehen. König Eduard habe bei dem Geschäft „‚kolossal“ verdient. Die City 
säße aber jetzt bis zum Hals mit der Anleihe fest, da Japan vor dem 
Bankerott stehe. Cassel habe seine Schilderung mit dem Ausruf beendigt: 
„Warum ist aber der König auch so furchtbar dumm gewesen, diese ver- 
dammte Allianz mit den ekelhaften Japs zu machen, er wird uns noch alle 
ruinieren.‘‘ Der König sei voll Neid und Eifersucht gegen seinen kaiser- 
lichen Neffen. Jeden Morgen beim Frühstück suche er in den Zeitungen, 
was der Kaiser getan hätte, und dächte darüber nach, wie er ihn über- 
trumpfen könne. Sein einziger Wunsch wäre, daß nur von ihm in den 
Zeitungen gesprochen werde. Eduard VII. sei eigentlich nur noch „ein 
Makler in Börsensachen“, hauptsächlich für den französischen Markt. 
Dieses etwas phantastische Schreiben veranlaßte mich, dem Kaiser bald 
nachher einen der längsten und ernstesten Vorträge zu halten, deren ich 
mich erinnern kann. Ich legte Seiner Majestät eingehend dar, daß das von 
allen Seiten ertönende Wort „Einkreisung‘ mich nicht aus der Fassung 
bringe. Eingekreist wären wir, wie ich schon wiederholt ausgeführt hätte, 
seit dem Frieden von Verdun, also seit 1065 Jahren. Koalitionen wären wir 
infolge unserer geographischen Lage immer ausgesetzt gewesen. Aber 
Schwierigkeiten wären da, um überwunden zu werden, durch Ruhe, mit 
Mut, aber auch mit Besonnenheit. Ich betonte das letztere Wort. Ich ging 
nun die Reibe unserer Nachbarn durch. Ich erinnerte den Kaiser an die
	        
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