Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE BÜCHSE DER PANDORA 333 
Warum der Dreißigjährige Krieg? Er war eine Folge der Reformation. Und 
warum die Reformation ? Sie war eine Phase in der Geschichte des Christen- 
tums. Und warum mußte Christus kommen? Um die seit dem Sündenfall 
verlorene Menschheit zu erlösen. „Also“, schloß der Aufsatz, „wäre nach 
deutscher wissenschaftlicher Methode der Weltkrieg darauf zurückzu- 
führen, daß unsere graziöse Ältermutter Eva in den Apfel biß. Sans Eve et 
sans la pomme, point d’ultimatum, point de guerre.‘“ Unsere während des 
Weltkriegs überhaupt wenig wirkungsvolle Propaganda gefiel sich zu schr 
in langatmigen Betrachtungen über längstvergangene Ereignisse, die nicht 
nur im feindlichen, sondern auch im neutralen Ausland wenig interessierten, 
während es doch darauf ankam, unser Vorgehen und unsere Haltung im 
Sommer 1914 zu erklären und, so gut es ging, zu rechtfertigen. Dies war 
insbesondere nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges, als es sich 
darum handelte, der Schuldlüge der Feinde entgegenzutreten, nur möglich, 
wenn wir das Ungeschick derjenigen einräumten, ja unterstrichen, in deren 
Händen 1914 die deutsche auswärtige Politik lag. Das soll später ausgeführt 
werden, wenn mir die schmerzliche Aufgabe obliegen wird, die Gründe zu 
beleuchten, aus denen unser friedliches, tüchtiges, gutes und besonnenes 
Volk, unser friedliebender, ja kriegsscheuer Kaiser in den entsetzlichsten und 
dabei dümmsten aller Kriege stolperten. An dieser Stelle will ich nur meine 
Parenthese über die Bedenken allzu genereller retrospektiver Betrachtung 
mit der Einschränkung schließen, daß es selbstverständlich Ereignisse gibt, 
die das Schlußglied einer langen Kette sind. 
Dahin gehört diebosnische Frage, dieim Herbst 1908 zu einer ernsten 
Spannung zwischen Rußland und Österreich führte und damit Deutsch- 
land vor eine nicht ungefährliche, jedenfalls schwierige Lage stellte. Die 
bosnische Frage, cette boite de Pandore pleine de surprises, de p£rils et de 
graves possibilites, wie ein rumänischer Diplomat sie mir schon früher 
charakterisiert hatte, läßt sich mit gutem Recht und ohne weiteres auf den 
Russisch-Türkischen Krieg von 1877 zurückführen. Als Alexander II. 1876, 
sehr ä contre cceur, unter dem Druck der starken slawophilen Strömung in 
Rußland, natürlich auch beeinflußt von alten zaristischen Traditionen und 
Gefühlen, sich entschloß, das russische Schwert für die glaubens- und 
stammverwandten Balkanslawen zu ziehen, erinnerte sich sein Kanzler 
Gortschakow daran, daß Rußland im Krimkrieg im letzten Ende an der 
feindlichen Haltung von Österreich gescheitert war. Als damals Kaiser 
Nikolaus I. beim Beginn des Krimkriegs, 1854, nach Besetzung der Moldau 
und Walachei seine Heere in Bulgarien hatte einrücken lassen, sah er sich 
bald nachher zur Räumung der ganzen Balkanhalbinsel genötigt, sobald 
Österreich in Galizien ein Heer zusammenzog. Um Rußland nicht wieder 
der Gefahr auszusetzen, von einer österreichischen Armee im Rücken
	        
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