Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

346 BERLIN ALS MITTELPUNKT 
noch 30 schönen Berlin, das auch äußerlich Jdie bestgehaltene aller Städte 
war. „Berlin est propre comme un salon“, pflegte Donna Laura Minghetti 
zu sagen, die Rom und Paris, London und Wien gleich gut kannte. Berlin 
gefiel nicht nur unseren Gästen, sondern erweckte bei denen, die es noch 
nicht kannten, Überraschung, Staunen und Bewunderung. Das Berlin der 
Kaiserzeit mit seinem gewaltig pulsierenden Leben und seiner musterhaften 
Ordnung, das größte Industriezentrum des Kontinents und dabei Residenz 
mit einem glänzenden Hofe und einer prachtvollen Armee, konnte sich sehen 
lassen. Und was den tieferblickenden Besucher noch mehr zum Nachdenken 
anregen, ihm in noch höherem Grade Zustimmung und Beifall abgewinnen 
mußte, war die günstige Lage der arbeitenden Klassen wie des Mittel- 
standes, die Entwicklung der sozialen Fürsorge bei uns, wie sie ähnlich in 
keinem anderen Lande auch nur annähernd erreicht worden war. Es war 
um diese Zeit, daß eine Deputation englischer Arbeiter, nachdem sie die 
deutschen sozialen Einrichtungen studiert, die deutschen Arbeiter- 
verhältnisse geprüft hatte, einen deutschen Genossen mit dem unbefan- 
genen und vorurteilslosen Blick des Engländers frug: „Wofür agitiert ihr 
eigentlich noch, ihr habt ja schon alles erreicht.“ 
Bei der Eröffnung der Interparlamentarischen Konferenz hielt ich eine 
Rede, in der ich mich gegen den Skeptizismus wandte, mit dem die Bestrc- 
bungen der interparlamentarischen Zusammenkünfte hier und da behandelt 
worden waren. „Sie haben mehr erreicht, als anfangs angenommen worden 
war“, rief ich den Teilnehmern an der Interparlamentarischen Konferenz 
zu, „und Ihr Erfolg hat von Jahr zu Jahr zugenommen.“ Ich berief mich 
auf das Zeugnis des Nestors der interparlamentarischen Kongresse, des ehr- 
würdigen Frederic Passy, den ich bei dieser Tagung der Interparlamen- 
tarischen Konferenz ebenso jugendlich, feurig und hochherzig wiedergetrof- 
fen habe, wie ich ihn fünfundzwanzig Jahre früher in Paris verlassen hatte. 
Ich erinnerte auch daran, daß Deutschland auf der Zweiten Haager Kon- 
ferenz ein auf das Schiedsgericht bezügliches Abkommen vorgeschlagen 
und unterzeichnet und den Entwurf unterstützt hätte, der auf die Er- 
reichung eines dauernden Schiedsgerichtshofes hinziele, dessen Annahme 
den Mächten in einem Schlußprotokoll der Konferenz empfohlen wurde. 
Deutschland habe in verschiedenen Verträgen von dem Schiedsgerichts- 
verfahren Gebrauch gemacht. Wir hätten in eine große Zahl von Handels- 
verträgen die Schiedsgerichtsklausel obligatorisch oder mindestens fakul- 
tativ eingefügt. Wir würden an der Konferenz der Seemächte teilnehmen, 
die in einigen Wochen in London stattfinden solle. Unsere Mitwirkung sei 
im voraus für alle Vorschläge gewonnen, die mit dem Interesse der recht- 
mäßigen Verteidigung wie mit den unverjährbaren Gesetzen der Mensch- 
lichkeit vereinbar wären. Ein schlagender Beweis für das Interesse, das
	        
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