Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

VÖLKERVERSÖHNUNG 347 
Deutschland an diesem \Werke der Vülkerverständigung und Völker- 
versöhnung nehme, sei die wachsende Zahl der deutschen Abgeordneten, 
die an der Interparlamentarischen Vereinigung teilnehmen wollten. Ich 
wandte mich gegen die Auffassung, als ob Friedensliebe Mangel an Vater- 
landsliebe bedeute. „Es sind Patrioten“, führte ich aus, „die sich bemühen, 
Konflikten vorzubeugen durch Bekämpfung der immer schädlichen Un- 
wissenheit, ungesunder Ranküne, des oft blinden Hasses, der nicht selten 
trügerischen Ambitionen.“ Ich schloß mit den Worten: „Eine schon ziem- 
lich lange Erfahrung hat mir bewiesen: um Mißverständnisse zu zerstreuen, 
ist nichts so geeignet, als sich durch Anknüpfung persönlicher Beziehungen 
kennenzulernen. Ich weiß mich mit meinen Landsleuten einig, indem ich 
Ihnen sage: Mögen Ihre Arbeiten fruchtbar sein, mögen sie nutzbringend 
sein für alle Völker, deren Vertreter uns die große Freude und die große 
Ehre erwiesen haben, nach Berlin zu kommen.“ Meine Rede wurde mehr- 
fach durch lebhaften Beifall unterbrochen, der Schluß mit allgemeinem 
Händeklatschen aufgenommen. Ich hatte mich, dem Beispiel des Fürsten 
Bismarck folgend, der französischen Sprache bedient, die mein großer Amts- 
vorgänger bei allen internationalen Zusammenkünften, insbesondere beim 
Berliner Kongreß, als Verhandlungssprache gebrauchte. Ich bin von 
Jugend auf des Französischen in Schrift und Wort ebenso mächtig gewesen 
wie des Deutschen, was ich für kein Unglück halte. Daß mein deutscher 
Patriotismus darunter nicht gelitten hat, konnte ich in einem langen Leben 
hinreichend beweisen. Zwei Sprachen zu beherzschen, veredelt den Stil 
und klärt die Gedanken. Das oft zitierte Wort von Bismarck, Sprachtalent 
sei eine schöne Sache für einen Oberkellner, war, wenn es überhaupt 
gefallen ist, natürlich eine Boutade. Ich möchte eber sagen, daß, wer sich 
in mehr als einer Sprache ausdrücken kann, dem Manne gleicht, der aus 
mehr als einem Fenster seines Hauses ins Freie zu blicken vermag. Der 
Beifall der Franzosen war besonders lebhaft. Der Franzose, wie alle 
Romanen ein geborener Redner, wird durch Erziehung und Tradition mehr 
als der Durchschnittsdeutsche auf die Wichtigkeit der Form hingewiesen, 
auf die schon von Aeschines und Demosthenes, von Quintilian und Cicero 
eingeschärfte Wahrheit, daß dem Redner Pathos wie Geschmack zu Gebote 
stehen müssen, daß Geist und Witz eine Rede nicht verunzieren, daß, wie 
ich schon einmal hervorhob, der Vortrag trotz allem, was der griesgrämige 
und sich mit Selbstmordgedanken tragende Faust dagegen vorbringt, nicht 
nur des Redners Glück macht, sondern auch seinen Worten erst die wahre 
Wirkung auf die Zuhörer gibt. 
Am 18. Oktober 1908, dem Jahrestag der Schlacht bei Leipzig und dem Bismarck- 
Geburtstag unseres herrlichen Kaisers Friedrich, sollte die Aufstellung der feier in der 
Büste des Fürsten Bismarck in der Walhalla bei Regensburg erfolgen. Ich Walhalla
	        
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