348 BULOW ÜBER FÖDERATIVE GRUNDLAGEN DES REICHS
hatte die Einladung zu dieser Feier gern angenommen, da ich grundsätzlich
jede Gelegenheit begrüßte, die Beziehungen gerade zwischen Berlin und
München zu festigen und zu fördern. Ich hatte nicht vergessen, daß Fürst
Bismarck einst vor mir äußerte: „Wenn unsere Feinde wieder versuchen
sollten, Deutschland aus den Fugen zu treiben, so werden sie den Hebel in
München ansetzen.‘ Ich stelle mit besonderer Genugtuung fest, daß wäh-
rend meiner Amtszeit vom ersten bis zum letzten Tag zwischen dem Reich
und Bayern die besten, die vertrauensvollsten und sichersten Beziehungen
bestanden haben, daß das Verhältnis zwischen dem leitenden Staat nörd-
lich des Mains und dem zweitgrößten Bundesstaat im Süden unter mir nie
die leiseste Trübung erfuhr. Dieser meiner festgewurzelten Überzeugung
von dem föderativen Fundament des Reichs, auf dem der Genius des Für-
sten Bismarck wie auf einem Rocher de bronze den Einheitsgedanken
stabiliert hatte, gab ich in der Rede Ausdruck, die ich am 18. Oktober 1908
in der Walhalla bei Regensburg hielt. Der Enkel des großen Mannes, dessen
Büste enthüllt werden sollte, war zu der Feier erschienen, ein zarter Knabe,
der in seinem Äußern mehr an seine österreichisch-englische, immer krän-
kelude Mutter als an den starken Vater oder gar an die Riesengestalt des
Großvaters erinnerte. Als der Festakt begann, bat ich den jugendlichen
Träger des großen Namens, dem die Feier galt, sich neben mich zu stellen.
Der bayrische Ministerpräsident, mein alter und lieber Freund Podewils,
begrüßte mich in einer formvollendeten, ausgesprochen reichstreuen und
mit edlem Schwung vorgetragenen Rede. In meiner Antwort formulierte
ich meine Überzeugung über das wünschenswerte Verhältnis zwischen dem
Reich und den Bundesstaaten, Preußen und Bayern in programmatischer
Form dahin: „Kein Kanzler des Deutschen Reichs wird sich jemals von den
Bahnen entfernen dürfen, die in dieser Beziehung Fürst Bismarck vorge-
schrieben hat. Und mir persönlich ist es ein Bedürfnis, Zeugnis dafür abzu-
legen, daß ich die Achtung vor den Rechten der deutschen Fürstenhäuser
als gleichbedeutend betrachte mit der Achtung vor den föderativen Grund-
lagen des Reichs.‘‘ Während ich sprach, brach der zehnjährige Fürst Otto
Bismarck plötzlich mit einem lauten Schrei zusammen und mußte hinaus-
getragen werden. Nachdem festgestellt worden war, daß es sich nur um
einen vorübergehenden, jedenfalls nicht lebensgefährlichen Schwächeanfall
handle, setzte ich meine Rede fort, in der ich die Verdienste des Bayern-
königs Ludwig I. um die Belebung und Hebung des deutschen National-
gefübls und die Förderung deutscher Kultur rühmte und die mit den
Worten schloß: „Die deutschen Dynastien und die deutschen Stämme,
durch gleiche Vaterlandsliebe und gemeinsame nationale Gesinnung in
unlöslicher Einheit miteinander verbunden, sie können sicher sein, daß die
Ansprüche der Gesamtheit niemals das Opfer ihrer Eigenart verlangen,