Metadata: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

204 HALDANE ÜBER DIE ENTENTE 
dem konservativen Wahlmanöver der Anschwärzung der liberalen Partei 
in auswärtigen Dingen entgegenzutreten. Von diesem Gesichtspunkte aus 
müsse die Rede betrachtet werden. Sir Edward Grey und die übrigen Leiter 
der liberalen Partei seien aber einig darin, daß gegen die Verhetzung zwi- 
schen England und Deutschland etwas geschehen müsse. Der Enthusiasmus 
für Frankreich sei hier deshalb so groß, weil die Liebe noch jung sei. Mit 
der Zeit werde alles in ruhigere Bahnen gleiten, und wenn, wie er hoffe, 
die Marokko-Konferenz ohne neue ernstliche Reibungen zwischen Deutsch- 
land und Frankreich vorübergegangen und die liberale Regierung in einigen 
Monaten am Ruder sei, so sei der Augenblick für eine Annäherung an 
Deutschland gekommen. Die liberale Partei wünsche zwar die Entente mit 
Frankreich festzuhalten, sie wolle deshalb aber nicht einen Gegensatz zu 
Deutschland schaffen. Er und seine politischen Freunde hätten den Wunsch, 
eine ebensolche Annäherung zwischen England und Deutschland herbeizu- 
führen, wie sie zwischen England und Frankreich gelungen sei. Wenn in 
einigen Monaten die liberale Regierung formiert sei, so werde systematisch 
an dem Werke der Annäherung an Deutschland gearbeitet werden. Auch 
müsse versucht werden, eine Annäherung zwischen den beiden Herrschern 
herbeizuführen. Die Mißstimmung bei König Eduard hänge noch vielfach 
mit Erinnerungen an die Behandlung zusammen, die er als Prinz von Wales 
erfahren habe. Wenn das Werk der Annäherung zwischen den beiden Na- 
tionen gelingen solle, so müsse bei dem großen persönlichen Einfluß der 
beiden Souveräne auf den Gang der Politik auch eine Annäherung zwischen 
ihnen wieder erfolgen. Ich erwiderte Herrn Haldane, daß er und seine Mit- 
arbeiter bei dem Werke der Aussöhnung zwischen beiden Ländern auf meine 
bescheidene Hilfe und auch auf den guten Willen der kaiserlichen Regie- 
rung zählen könnten. Er war über diese Zusicherung sehr erfreut. Die Aus- 
söhnung mit Deutschland steht schon jetzt auf dem Programm der liberalen 
Partei, wie aus vielen Reden und Schriften ihrer Mitglieder ersichtlich ist. 
Die Parteileitung will sich aber vor den Wahlen nicht zu sehr avancieren, 
um nicht der Beschuldigung ausgesetzt zu werden, daß sie die populäre 
Entente cordiale dadurch störe. Sie hat aber die Absicht, sobald sie fest 
im Sattel sitzt, eine Annäherung an Deutschland zu betreiben. Ende 
nächster Woche treffe ich mit zwei oder drei anderen liberalen Partei- 
führern eigens zu dem Zweck zusammen, um die deutsch-englischen Be- 
ziehungen mit ihnen zu besprechen. Ich glaube, daß auch unter der libe- 
ralen Regierung die Entente mit Frankreich den Pivot der englischen 
Politik bilden wird. Es ist aber immerhin schon erfreulich, den guten Willen 
vorzufinden, um die Spannung mit Deutschland zu beseitigen.“ 
Am 6. November 1905 hatte der englische Minister des Äußern Lord 
Lansdowne erklärt, daß die englischen Einvernehmen mit Japan und
	        
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