Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Der Artikel des „Daily Telegraph‘“ in deutscher Übersetzung 
(Zu Seite 352) 
Der Deutsche Kaiser und England 
Persönliches Interview 
Offene Darlegung der Weltpolitik 
Freundschaftsbeweise 
Wir haben die folgende Mitteilung aus einer Quelle von so unantastbarer 
Autorität erhalten, daß wir ohne Zögern die deutliche Kundgebung, die sie ent- 
hält, der öffentlichen Aufmerksamkeit empfehlen. 
Diskretion ist die erste und letzte Eigenschaft, die man von einem Diplomaten 
verlangt, und sollte auch von denen noch beobachtet werden, die, wie ich selbst, 
längst aus dem öffentlichen Leben in das Privatleben übergegangen sind. Dennoch 
gibt es manchmal in der Geschichte der Nationen Augenblicke, in denen eine 
berechnete Indiskretion einen außerordentlichen Dienst der Öffentlichkeit gegen- 
über bedeutet. Deshalb habe ich mich entschlossen, die Grundgedanken einer 
längeren Unterredung bekanntzugeben, die mit Seiner Majestät dem Deutschen 
Kaiser zu führen ich unlängst den Vorzug hatte. Ich tue es in der Hoffnung, daß es 
dazu beitragen mag, das hartnäckige Mißverständnis über die Art der Gefühle 
des Kaisers für England zu beseitigen, das, so fürchte ich, tief in der Brust des 
Durchschnittsengländers wurzelt. Es ist der aufrichtige Wunsch des Kaisers, daß 
dieses Mißverständnis ausgerottet werde. Er hat das wiederholt in Wort und Tat 
bewiesen. Aber, um es freiheraus zu sagen, seine Geduld wird hart auf die Probe 
gestellt, da er sich so fortdauernd mißverstanden findet und so oft den Schmerz 
erfahren hat, zu finden, daß auf jede vorübergehende Besserung der Beziehungen 
erneute Ausbrüche des Vorurteils folgen und eine schnelle Rückkehr zu der alten 
argwöhnischen Gesinnung. 
Wie ich bemerkte, ehrte mich Seine Majestät durch eine lange Unterredung 
und sprach mit impulsivem, ungewöhnlichem Freimut. „Ihr Engländer“, sagte er, 
„seid verrückt, verrückt, verrückt wie Märzhasen. Was ist über euch gekommen, 
daß ihr euch so völlig einem Argwohn überlassen habt, der einer großen Nation 
ganz unwürdig ist? Was kann ich mehr tun, als ich schon getan habe ? Ich habe 
mit allem Nachdruck, der mir zu Gebote steht, in meiner Rede in der Guidhall 
erklärt, daß das Ziel meines Herzens der Friede ist und einer der mir teuersten 
Wünsche, in den besten Beziehungen zu England zu leben. Habe ich jemals mein 
Wort nicht gehalten? Falschheit und Ränke sind meiner Natur immer fremd 
gewesen. Meine Taten eollten für sich sprechen, aber Sie hören nicht auf sie, 
sondern auf diejenigen, die sie mißverstehen und entstellen. Das ist eine persön- 
liche Kränkung, die ich fühle und die mir nachgeht. Immer mißverstanden zu 
werden, zu sehen, wie meine wiederholten Freundschaftsangebote mit arg-
	        
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