Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

wöhnischen, mißtrauischen Augen gewogen und nachgeprüft werden, stellt meine 
Geduld auf eine harte Probe. Ich habe immer wieder gesagt, daß ich Englands 
Freund bin, und Ihre Presse — oder wenigstens ein beträchtlicher Teil — fordert 
das englische Volk auf, meine ausgestreckte Hand zurückzuweisen, und insinuiert, 
daß in der andren ein Dolch verborgen sei. Wie kann ich eine Nation gegen ihren 
Willen überzeugen ? 
Ich wiederhole“, fuhr Seine Majestät fort, „daß ich Englands Freund bin, aber 
Sie erschweren mir die Dinge. Meine Aufgabe ist keine von den leichtesten. Die 
vorherrschende Empfindung in großen Teilen der mittleren und unteren Klassen 
ıneines eignen Volkes ist England nicht freundlich. Ich bin also sozusagen in 
einer Minderheit in meinem eignen Land, aber sie ist eine Minderheit der besten 
Elemente, geradeso wie in England gegenüber Deutschland. Dies ist ein zweiter 
Grund, weshalb mich Ihre Weigerung, mein verpfändetes Wort, daß ich Englands 
Freund bin, anzunehmen, kränkt. Ich bin unaufhörlich bestrebt, die Bezichungen 
zu verbessern, und Sie erwidern, daß ich Ihr Erzfceind bin. Sie machen es für 
mich schr schwer. Warum ?““ 
Hierauf wagte ich, Seine Majestät daran zu erinnern, nicht England allein, 
sondern ganz Europa habe mit Mißbilligung kürzlich das Verhalten Deutschlands 
gesehen, daß es dem deutschen Konsul erlaubte, von Tanger nach Fez zurück- 
zukehren, und den gemeinsamen Schritt Frankreichs und Spaniens vorweg- 
genommen habe, indem es den Mächten nahclegte, es sei an der Zeit, daß Europa 
Muley Hafid als neuen Sultan von Marokko anerkenne. 
Seine Majestät machte eine ungeduldige Bewegung. „Ja“, sagte er, „das ist 
ein vorzügliches Beispiel, wie das Vorgehen Deutschlands falsch dargestellt 
wird. Zunächst also: die Reise des Dr. Vassel. Wenn die deutsche Regierung den 
Dr. Vassel auf seinen Posten in Fez zurücksandte, war nur der Wunsch für sie 
maßgebend, daß er sich um die Privatinteressen deutscher Untertanen in dieser 
Stadt kümmern solle, die um Hilfe und Schutz nach der langen Abwesenheit eines 
konsularischen Vertreters riefen. Und warum sollte man ihn nicht senden ? 
Wissen diejenigen, die Deutschland beschuldigen, es sei den andren Mächten 
zuvorgekommen, daß der französische Konsularvertreter schon mehrere Monate 
in Fez war, als Dr. Vassel aufbrach ? Dann: die Anerkennung von Muley Hafid. 
Die europäische Presse hat mit großer Schärfe beklagt, Deutschland hätte seine 
Anerkennung nicht empfehlen sollen, bis er Europa seine völlige Einwilligung in 
den Vertrag von Algeciras mitgeteilt habe als eine Verpflichtung für ihn als Sultan 
von Marokko und Nachfolger seines Bruders. Meine Antwort ist, daß Muley Hafıd 
eine Mitteilung dahin schon vor Wochen gemacht hat, ehe noch die entscheidende 
Schlacht stattfand. Schon in der Mitte des vergangenen Juli hat er eine identische 
Note an die Regierungen von Deutschland, Frankreich und Großbritannien gesandt 
mit der ausdrücklichen Anerkennung, daß er vorbereitet sei, alle Verpflichtungen 
gegen Europa, die Abdul Aziz während seines Sultanats sich zugezogen hat, 
seinerseits zuzugestehen. Die deutsche Regierung hat diese Mitteilung als end- 
gültigen, autoritativen Ausdruck von Muley Hafıds Absichten betrachtet und war 
deshalb der Meinung, man brauche nicht eine zweite Mitteilung abzuwarten, bevor 
ınan ihn als den tatsächlichen Sultan von Marokko anerkenne, der seinem Bruder 
durch das Recht eines Siegs auf dem Schlachtfeld auf dem Thron nachfolgte.““
	        
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