Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Ich hielt Seiner Majestät vor, ein wichtiger und einflußreicher Teil der deut- 
schen Presse habe das Vorgehen der deutschen Regierung ganz anders ausgelegt 
und es deshalb überschwenglich gebilligt, weil diese Blätter darin eine starke Tat 
statt bloßer Worte sähen und ein entscheidendes Zeichen, daß Deutschland noch- 
mals in den Gang der Ereignisse in Marokko einzugreifen im Begriff sci. „Is 
gibt“, entgegnete der Kaiser, „Unheilstifter in beiden Ländern. Ich will ihre 
Fähigkeit, falsch darzustellen, nicht gegeneinander abwägen. Aber die Tatsachen 
sind so, wie ich festgestellt habe. Nichts in Deutschlands neuerlichem Vorgehen in 
Marokko steht in Gegensatz zu der ausdrücklichen Erklärung meiner Friedensliebe, 
wie ich in der Guildhall und in meiner letzten Rede in Straßburg sie gegeben habe.“ 
Seine Majestät ging dann nochmals auf den Punkt ein, der ihn am meisten 
beschäftigt, auf die Beweise seiner Freundschaft für England. „Ich habe mich‘, 
sagte er, „auf die Reden bezogen, in denen ich, wie es ein Souverän irgend kann, 
meinen guten Willen verkündet habe. Aber da Handlungen lauter sprechen als 
Worte, lassen Sie mich auch mich auf meine Handlungen bezichen. Im allgemeinen 
glaubt man in England, während der Dauer des Südafrikanischen Kriegs sei 
Deutschland feindlich gesinnt gewesen. Zweifellos war die öffentliche Meinung in 
Deutschland den Engländern feindlich — bitter feindlich. Die Presse war feind- 
lich; die private Meinung war es. Aber wie ist es mit dem offiziellen Deutschland ? 
Lassen Sie meine Kritiker sich fragen, was die europäische Reise der Buren- 
Delegierten, die eine Intervention Europas zu erreichen strebten, zu einem plötz- 
lichen Stillstand und dann zu völligem Zusammenbruch gebracht hat ? Sie wurden 
in Holland gefeiert; Frankreich bewillkommnete sie mit Begeisterung. Sie wollten 
nach Berlin kommen, wo das deutsche Volk sie mit Blumen bekränzt haben 
würde. Aber als sie baten, von mir empfangen zu werden, habe ich das abgelehnt. 
Die Agitation war unmittelbar darauf tot, und die Delegierten kehrten mit leeren 
Händen zurück. Handelt, frage ich, so ein heimlicher Feind ? 
Und ferner: Als der Kampf auf der Ilöhe war, wurde die deutsche Regierung 
von denen Frankreichs und Rußlands eingeladen, sich mit ihnen zu verbinden 
und England aufzufordern, dem Krieg ein Ende zu machen. Der Moment, so 
sagten sie, sei da, nicht nur die Burenrepubliken zu retten, sondern England bis 
in den Staub zu demütigen. Was war meine Antwort ? Ich sagte, daß Deutschland, 
weit entfernt davon, an irgendeinem verabredeten Vorgehen Europas zum Druck 
auf England und zu dessen Erniedrigung teilzunehmen, immer eine Politik ver- 
meiden müsse, die es in Verwicklungen mit einer Seemacht wie England bringen 
könne. Die Nachwelt wird eines Tags den genauen Wortlaut des Telegramms — 
es liegt jetzt in den Archiven des Windsor-Schlosses — lesen können, worin ich 
den Souverän Englands von meiner Antwort an die Mächte, die damals es zu 
stürzen suchten, unterrichtet habe. Engländer, die jetzt mich beleidigen, indem 
sie mein Wort anzweifeln, sollten wissen, wie ich in der Stunde ihres Mißgeschicks 
gehandelt habe. 
Und das war nicht alles. Gerade während Ihrer schwarzen Woche, im Dezen- 
ber 1899, als ein Unglück nach dem andern in rascher Folge kam, empfing ich 
einen Bricf von der Königin Victoria, meiner verchrten Großmutter, der in Sorge 
und Kummer geschrieben war und deutliche Spuren der Angst trug, die an ihrem 
Geist und an ihrer Gesundheit zehrte. Ich schickte ihr sofort eine mitfühlende
	        
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