DIE HEREROS IN DIE SANDWÜSTE 21
für den Wert und die Bedeutung unserer Kolonien war allmählich in die
weitesten Kreise des deutschen Volks gedrungen, als der unglückliche Aus-
gang des Weltkriegs mit dem Sturz des glorreichen Deutschen Reichs auch
diese schönen Hoffnungen zerstörte.
Wenn ich an den südafrikanischen Aufstand zurückdenke, so drängt sich
mir unwillkürlich die Erinnerung an einen Zwischenfall auf, der mir während
des Weltkrieges mehr als einmal wieder lebendig wurde. Der General von
Trotha, ein schneidiger Gardeinfanterist, war im Frühjahr 1904 mit der
Leitung der Operationen in Südwestafrika betraut worden. Um rascher
mit den Hereros fertig zu werden, schlug er vor, sie mit Frauen und Kindern
in eine wasserlose Wüste zu treiben, wo sie einem sicheren und qualvollen
Tod entgegengegangen wären. Ich erklärte Seiner Majestät, daß ich meine
Zustimmung zu diesem Vorgehen nicht geben würde. Der Kaiser machte
erst große Augen, dann geriet er in Erregung. Meinem Hinweis auf unser
Christentum begegnete er mit der Einwendung, daß dessen Gebote gegen-
über Heiden und Wilden keine Geltung hätten. Ich sagte ihm: „Ich ver-
zichte auf alle theologischen Argumente und berufe mich nicht auf die Berg-
predigt, sondern auf einen sehr unheiligen Mann, auf Talleyrand, der nach
der Erschießung des Duc d’Enghien meinte: ‚Cest’ pire qu’un crime, c’est
une faute.‘ Eurer Majestät Kein-Pardon-Rede hat schon viel Unheil an-
gerichtet, obwohl das nur eine Ankündigung war. Wenn Sie jetzt von der
Theorie zur Praxis übergehen, so richten Sie einen Schaden an, der den
Einsatz nicht lohnt. Kriege können nicht rein militärisch geführt werden,
die Politik muß mitsprechen.‘‘ Der Kaiser brauste auf, und wir trennten
uns in nicht freundlicher Stimmung. Nach einigen Stunden erhielt ich
einen Brief von ihm, in dem er mir mitteilte, er füge sich meinen Vor-
stellungen, und den er mit jener Mischung von Güte und Geist, die ihm oft
eigen sein konnte, unterzeichnete:
Wilbelm I. R,
qui laudabiliter se subjecit.
Ich bin fest überzeugt, daß, wenn Wilhelm II. im Weltkrieg als politischen
Berater an seiner Seite statt vier Unzulänglichkeiten einen Kanzler gehabt
hätte, der diesen Namen verdiente, wir nicht militärische Maßnahmen er-
griffen haben würden, deren reeller praktischer Vorteil nicht die Einbuße
aufwog, die sie uns moralisch und politisch zufügten. Kriege werden im
letzten Ende nicht allein militärisch, sondern vor allem politisch gewonnen
oder verloren. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß auch unsere schärfsten
militärischen Maßnahmen während des Weltkriegs nicht entfernt an die
Grausamkeit eines Davoust in Hamburg, eines Melac in der Pfalz, eines
Kitchener in Südafrika heranreichten und daß die von England im Weltkrieg