KIDERLEN WIRD VERLACHT 37ı
kühnen Ritt, der ihn mitten durch die feindlichen Vorposten führte, dem
Kronprinzen die Meldung überbracht, wo am folgenden Tage, dem Schlacht-
tage, Prinz Friedrich Karl seinem Vetter zu begegnen hofle. Nach ihm betrat
der württembergische Demokrat Konrad Haußmann die Tribüne. Während
vieler Jahre haben neben dem in keiner Weise hervorragenden, aber red-
lichen und gutmütigen Herrn von Payer, dem späteren Vizekanzler der
letzten Übergangszeit vor dem Umsturz, die Brüder Haußmann in der
Süddeutschen Volkspartei eine gewisse Rolle gespielt. Konrad und Fried-
rich Haußmann waren Zwillinge. Von Konrad Haußmann pflegte der
Korrespondent der „Frankfurter Zeitung“, August Stein, der, selbst
Demokrat, es wissen mußte, zu sagen, daß er derjenige der Zwillinge wäre,
der noch weniger politisches Verständnis besäße als der andere. Seine Rede
vom 11. November erhob sich nicht über das Plädoyer eines mittelmäßigen
Advokaten in einer schwäbischen Kleinstadt. Dann folgte nach einer ge-
diegenen und relativ gemäßigten Rede des Sozialisten Heine ein unglück-
liches Intermezzo, dessen unfreiwilliger Held mein Freund Kiderlen war.
Da ich Kiderlen als einen starknervigen und dreisten Mann kannte, der
in keiner Weise auf das Maul gefallen war, so hatte ich ihn gefragt, ob er
Neigung verspüre, für das viel und damals überwiegend mit Unrecht an-
gefochtene Auswärtige Amt ein paar Worte zu sagen. Kiderlen ging sofort
und mit Vergnügen auf meine Anregung ein und ergriff am Schluß der
Sitzung vom 11. November das Wort. Was er sagte, war sachlich gar nicht
übel. Er sprach auch weit fließender als Tschirschky, der Erbprinz von
Hohenlohe-Langenburg, Stübel, Jagow und andere Herren, die vor ihm
oder nach ihm für das Auswärtige Amt das Wort ergriffen haben. Aber er
vergriff sich im Ton. Als er erklärte, er sei ermächtigt, den Herren im
Reichstag mitzuteilen, die Regierung gedenke die verlangte Reform des
Auswärtigen Amts damit einzuleiten, daß sie dem Reichstag Vorschläge
für Vermehrung des Personals machen werde, entstand allgemeine Heiter-
keit. Seitdem haben wir gesehen, daß republikanische Regierungen in
Deutschland im Auswärtigen Amt keine durchgreifenden Reformen vor-
genommen, wohl aber die Zahl der Beamten verdoppelt und verdreifacht
haben, um Parteigenossen unterzubringen, ohne daß damit im Parlament
irgendein Widerspruch erweckt worden wäre. Der arme Kiderlen erregte
aber noch größere Heiterkeit, als er nicht nur die Gewissenhaftigkeit der
Beamten des Auswärtigen Amts und ihre Arbeitsfreudigkeit rühmte,
sondern auch die Vortrefflichkeit unserer Büros, die man uns im Auslande
nicht nachzumachen vermöge. Das Gelächter wurde schließlich so groß,
daß Kiderlen seine Rede nicht zu Ende führen konnte. Das hatte aber noch
andere Ursachen als die sachlichen Argumente des Redners. Der Deutsche
Reichstag hat vor der November-Revolution von 1918 nie Stürme und
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