Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DER VORTRAG BÜLOWS 379 
wendigkeit wäre. Das deutsche Volk sei kein steuerfreudiges Volk. Dazu 
käme die Frage, ob wir nur indirekte Steuern beantragen oder auch eine 
direkte Steuer in Vorschlag bringen sollten. Ich hielte es politisch und sozial 
für gefährlich, eine so eingreifende Finanzreform nur auf indirekte Steuern 
zu basieren. Es würde aber nicht leicht sein, die von mir in Aussicht 
genommene direkte Steuer durchzubringen, da sie bei den Konservativen 
auf starken Widerstand stoßen dürfte. Daraus könne, da das Zentrum jeden 
Spalt im Block benutzen würde, um die gegenwärtige Parteigruppierung zu 
sprengen, eine innere Krisis hervorgehen. Der Kaiser betonte mit Leb- 
haftigkeit, wie sehr er die weitere Aufrechterhaltung des Blocks wünsche. 
Ich bestärkte ihn in dieser Auffassung mit dem Bemerken, daß mein Be- 
streben dahin ginge, unter Aufrechterhaltung der derzeitigen freundlichen 
Beziehungen zwischen Konservativen und Nationalliberalen und ohne Ab- 
stoßen der Freisinnigen allmählich wieder einen Modus vivendi mit dem 
Zentrum zu finden. Einem solchen Ausgleich hätten wir durch sorgsame 
Schonung der Rechte der katholischen Kirche und aller katholischen 
Gefühle vorgearbeitet. Auch hoffte ich, daß meine freundschaftlichen Be- 
ziehungen zu dem von mir sehr verehrten Kardinal Kopp und die wohl- 
wollende Gesinnung des Heiligen Vaters und der Kurie für mich eine all- 
mähliche Versöhnung mit der Zentrumspartei erleichtern würden. In diesem 
Falle würde ich mir erlauben, die Erhebung der Preußischen Gesandtschaft 
beim Päpstlichen Stuhl zur Deutschen Botschaft in Vorschlag zu bringen. 
Ich hätte auch schon einen Kandidaten für diesen Posten in Aussicht: 
den Reichstagsabgeordneten von Hertling. Der Kaiser schien nicht ab- 
geneigt. 
Ich kam nun auf die äußere Lage zu sprechen, die in noch höherem 
Grade unsere ernsteste Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen müsse. Die 
bosnische Frage befinde sich zur Zeit in einem akuten Stadium. Ich hielte 
aber durchaus an der Hoffnung fest, daß wir ohne irgendwelche Preisgabe 
des guten Rechts wie der Sicherheit der habsburgischen Monarchie, aber 
auch ohne Schädigung unserer eigenen Beziehungen zu Rußland die Krisis 
zu einem befriedigenden Abschluß bringen würden. Ich verhehlte Seiner 
Majestät dem Kaiser nicht, daß Allerhöchstseine Gespräche in Highcliffe 
sich wie Reif in der Frühlingsnacht auf die gerade in den letzten Monaten 
emporsprossenden Blüten besseren Verständnisses zwischen den beiden 
großen Völkern diesseits und jenseits des Kanals niedergesenkt hätten. 
Aber auch darüber wäre wegzukommen. Der englische Botschafter habe 
mir vertraulich gesagt, daß König Eduard sich mit der bestimmten Absicht 
trage, seinen Wunsch, zwischen England und Deutschland „peace and good 
will“ walten zu schen, durch einen mit der Königin Alexandra in Berlin 
abzustattenden, ganz offiziellen Besuch urbi et orbi zu dokumentieren,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.