Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

XXVL KAPITEL 
Veränderte Stimmung des Kaisers Bülow gegenüber » Höfische Einflüsse und Intrigen 
gegen Bülow + Reflexionen über die Pllichten des Staatsmannes » Weitergang der 
bosnischen Krise » Rundreise Iswolskis - Sein Besuch in Berlin - Frühstück beim 
Kaiser » Bülows Erlaß an den deutschen Botschafter in Wien « Die Haltung der 
Großmächte - Der russische Botschafter Graf Osten-Sucken bei Bülow - Rußland stimmt 
vorbehultlios zu (24. III. 1909) - Die kriegerische Stimmung in Wien » Aehrenthul 
ach und nach erholte sich Kaiser Wilhelm körperlich und seelisch von 
den Eindrücken des Novembersturms. Ich habe irgendwo eine hübsche 
Anekdote von einem Alpinisten gelesen, der sich bei Chamonix verstiegen 
hatte. Er versprach dem Führer, wenn er ihn gesund vom Montblanc her- 
unterbringe, hunderttausend Francs. Als die schlimmsten Gletscher und 
Grate überwunden waren, offerierte er fünfzigtausend Francs. Im Tale an- 
gelangt, meinte er, daß zehntausend Francs eigentlich mehr als genug 
wären; er zürnte sogar dem Führer, daß er die Notlage übertrieben, ihn 
auch falsch geführt hätte. Als die durch die Gespräche des Kaisers in Eng- 
land hervorgerufene akute Krise überwunden war, setzten sofort Versuche 
ein, die Nachwirkung der Krise auf das Gemüt Seiner Majestät zu benutzen, 
um meine Stellung zu untergraben. 
Dadurch wurde zunächst eine verständige, wirtschaftlich und ins- 
besondere politisch ersprießliche Durchführung der Reichsfinanzreform er- 
schwert. Ich war nie im Zweifel darüber, daß ich eine Umgestaltung der 
Reichsfinanzreform in einer nach meiner Überzeugung nicht nur wirtschaft- 
lich, sondern auch politisch für uns schädlichen und verhängnisvollen Form 
nicht akzeptieren dürfe und könne. Ich habe immer wenig von denMinistern 
gebalten, „die auch anders können“. Ein Minister und nun gar ein 
Reichskanzler soll in großen Fragen mit seiner Überzeugung stehen und 
fallen, und er soll Überzeugungen haben. In Fragen, für die er sich ernstlich 
eingesetzt hat, soll der leitende Staatsmann keine Wetterfahne sein, die sich 
ebenso gern und ebenso leicht nach rechts wie nach links dreht. In Fragen, 
von deren richtiger Lösung nach seiner Überzeugung die Zukunft des 
Landes abhängt, soll der führende Staatsmann nicht umfallen. Mit solcher 
Auffassung meiner Stellung, meines Amtes und seiner Pflichten mußte 
ich 1908 bei der Flatterhaftigkeit und Unzuverlässigkeit Wilhelms II. die
	        
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