Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

EIN FRÜHSTÜCK IM BERLINER SCHLOSS 397 
im Orient gewesen, um nicht den Egoismus, die Unzuverlässigkeit und die 
durchaus demokratisch-radikalen Instinkte der Balkanvölker zu kennen. 
Bulgaren und Serben, Rumänen und Griechen seien gleich nichtsnutzig, 
gleich unzuverlässig. Wenn die Dardanellen-Frage in einer für Rußland an- 
nebmbaren Weise geregelt würde, so wäre der Status quo auf der Bulkan- 
halbinsel und der Fortbestand der Türkei alles in allem für Rußland das 
Erwünschteste. Als ich Iswolski sagte, daß sich die Türken bereits direkt 
mit Österreich-Ungarn und Bulgarien in Verbindung gesetzt hätten, und 
zwar, soweit Bulgarien in Frage komme, auf Frankreichs Rat, zuckte er 
die Achseln mit melancholischem Lächeln. Wahrheitsgemäß konnte ich ihm 
schließlich versichern, es sei mir ganz lieb, daß ich von Aehrenthal über 
dessen Annexionspläne erst so spät informiert worden sei. Auf diese 
Weise hätte ich freie Hand und keine Verantwortung. Wir trennten uns in 
freundschaftlicher Weise. Als mir Iswolski immer wiederholte, er gehe in 
St. Petersburg einem wahren Fegefeuer entgegen, er glaube nicht, daß er 
sich als Minister des Äußern halten werde, übrigens lauere sein Adjoint 
Tscharykow nur darauf, an seine Stelle zu treten, sagte ich ihm: „Vous 
serez encore ministre ou ambassadeur, quand je planterai mes choux dans 
le jardin de la Villa Malta.“ Er erhob abwehrend die Hände: „A Dieu ne 
plaise! Restez a votre poste, nous avons tous besoin de vous.“ 
Kaiser Wilhelm hatte Iswolski zum Frühstück eingeladen: Ich hatte 
Seine Majestät gebeten, mit dem russischen Minister des Äußern keine ein- 
gehenderen politischen Gespräche zu führen, auf die bosnische Frage nur in 
allgemeinen Wendungen einzugehen, um so bestimmter aber unseren 
Wunsch nach Aufrechterhaltung des Friedens und der traditionellen guten 
Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland zu betonen. Vor allem 
möge er den russischen Minister mit ruhiger Freundlichkeit behandeln. 
Leider befolgte Wilhelm II. diesen Rat nicht. Im Grunde war ihm jeder 
Minister des Äußern unsympathisch, weil er am liebsten die großen poli- 
tischen Geschäfte mit den fremden Souveränen ohne Mittelsperson be- 
handelt hätte. „Ich verstehe mich am besten direkt mit meinen Kollegen“, 
pflegte er zu sagen. Ich erkenne aber dankbar an, daß der Kaiser, solange 
er mich mochte, meinen Rat bereitwillig in Anspruch nahm, wenn auch 
nicht immer befolgte. Bei jenem Frühstück im königlichen Schloß am 
25. Oktober 1908 schien der Kaiser etwas darin gesucht zu haben, alle 
politischen Bemerkungen, Anspielungen, geschweige denn Fragen des rus- 
sischen Ministers, zu überhören und das Gespräch immer wieder auf die 
gleichgültigsten Vorgänge zu lenken. Zur Abwechslung unterbrach der 
Kaiser die Konversation durch uralte Kalauer und Anekdoten, unter großer 
Heiterkeit der anwesenden deutschen Gäste, denen vorher angekündigt 
worden war, daß Seine Majestät in dieser Weise Iswolski „‚frozzeln‘“ würde, 
Iswolski Gast 
des Kaisers
	        
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