DIE DESERTEURE VON CASABLANCA 411
Durchlaucht, ein großer Teil des Volkes denkt so, und die gesamte Armee
schnt sich danach, sich zu betätigen. Wenn die Sacho einem englischen Kon-
sul passiert wäre, so wären vier englische Kreuzer vor Casablanca mit den
Mannschaften an den Geschützen angetreten. Wenn ich diese meine innerste
Überzeugung schreibe, werden Sie es mir auch nicht verübeln und mich
recht verstehen. Ich bitte Sie inständig, eine volle Genugtuung zu fordern,
widrigenfalls mit ernsten Maßnahmen gedroht wird. Unsere deutschen
Kaufleute sollen schon in Verzweiflung darüber sein, daß ihre Heimat sie
ganz im Stiche läßt. Ew. Durchlaucht können mir immer vorhalten, daß
mich dies alles nichts angeht, aber schließlich muß ich später doch die Folgen
tragen, und kommt man einmal in den Ruf, ‚überaus friedliebend zu sein‘,
ist es schwer, seine Stellung wiederzugewinnen. Mit tausend Grüßen in
Treue Ihr Wilhelm.“
Ich beantwortete diesen Brief am 11. Oktober 1908 mit nachstehendem
Schreiben: „Eure Kaiserliche und Königliche Hoheit haben mich durch
den gnädigen Brief aus Groß-Mützelburg schr beglückt. Ich bitte, meinen
untertänigsten Dank aussprechen und das Vertrauen, mit dem Eure
Kaiserliche Hoheit mich beehrt haben, durch die vollste Offenheit er-
widern zu dürfen. In dem Spezialfall, um den es sich handelt, liegt die Sache
doch nicht ganz so einfach, wie es nach den Zeitungsnachrichten den An-
schein hat. Vom völkerrechtlichen Standpunkte aus ist es einigermaßen
zweifelhaft, ob unser Konsulat in Casablanca berechtigt gewesen ist,
französischen Deserteuren zur Flucht zu verhelfen. Jedenfalle war es nicht
berechtigt, sich auch nicht-deutscher Deserteure anzunehmen. Im engsten
Vertrauen, denn die Sache ist glücklicherweise noch nicht zur Kenntnis
der Franzosen gelangt, bemerke ich, daß seitens des deutschen Konsulats
(hoffentlich nur aus Verschen) eine Bescheinigung falsch ausgestellt
worden ist, das heißt, es waren auf dieser Bescheinigung unter anderen
auch österreichische Staatsangehörige als Deutsche eingetragen. Natürlich
haben sich in dieser Angelegenheit auch die Franzosen Blößen gegeben,
und deshalb reklamieren wir. Aber die Handlungsweise unseres Konsulats
ist nicht ganz einwandfrei, und die Individuen, um die es sich handelt,
verdienen tatsächlich wenig Sympathie, da sie, soweit sie Deutsche sind,
Deserteure sind. Im engsten Vertrauen möchte ich noch betonen, was die
Franzosen besser nicht erfahren, daß zur Zeit des Fürsten Bismarck nach
den sehr viel strengeren Grundsätzen der Allgemeinen Dienstinstruktion
zum Konsulargesetz von 1871/73 verfahren wurde, wonach unsere Konsulate
der Deserteure sich nicht annehmen, namentlich sie nicht nach Deutsch-
land zurückbefördern sollten, da nach der Ansicht des großen Kanzlers
solche Leute dies gar nicht verdienten. Hierbei verfehle ich nicht, zu er-
wähnen, daß Seine Majestät der Kaiser und König durch Randvermerk in