Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DER KRONPRINZ UND FRAU KYPKE 415 
Meine persönlichen Beziehungen zum Kronprinzen waren immer gut. 
Zu seinen vortrefllichen Eigenschaften gehörte, daß er nicht übelnehmerisch 
war. Er war auch nicht eitel. Er zeigte sich gern auf einem flotten Pferd, 
er war ein kühner Reiter, gewandt in allen körperlichen Übungen, er trug 
die Mütze im Nacken, wie dies der schneidige Leutnant von den Garde- 
husaren oder den Gardeducorps tat, er huldigte nicht ungern hübschen 
Mädchen und schönen Frauen. Aber wie jedcs hochfahrende Wesen, so 
lagen ihm auch geistiger Hochmut und geistige Eitelkeit fern. Alle Pose, 
alles Feierliche war ihm zuwider, vielleicht zu sehr, denn die Völker wollen 
nun einmal, daß ihre Fürsten einen gewissen Nimbus um sich verbreiten 
und mit einer gewissen Grandezza auftreten. Das verlangt der Deutsche 
eigentlich schon von seinen Ministern und Kanzlern. Mein lieber Freund 
Franz Arenberg hat mir oft gesagt: „Du bist nicht feierlich genug. Du 
posierst nicht genug. Du bist zu natürlich! Nicht nur die Beamten, sondern 
auch die Parlamentarier in Deutschland sind anders, als es in Englund, in 
Italien, in Frankreich die Leute sind. Unsere Volksboten sind Spießbürger 
von Lieber bis zu Eugen Richter und Bebel. Sie verlangen jene Würde, 
jene Höhe, durch die bei Schiller das Mädchen aus der Fremde die Ver- 
traulichkeit entfernt.“ Ich gab die Richtigkeit dieser Kritik bis zu einem 
gewissen Grade zu, habe mich aber doch nicht ändern wollen oder können, 
da die natürliche Anlage oder Begabung sich schließlich immer wieder 
durchsetzt. Derselbe alte Destouches, der das von mir oft zitierte Wort 
geprägt hat, leicht sei die Kritik und schwer die Kunst, hat auch mit Recht 
gesagt: „„Chassez le naturel, il revient au galop.‘“ Gerade weil ich mich in 
vielen Dingen gut mit dem Kronprinzen verstand und uns das verband, 
was der Franzuse „les atomes crochus“ nennt, nahm ich mit ihm bei ge- 
legentlichen M hiedenheiten noch weniger als mit seinem Vater 
ein Blatt vor den Mund. Ich erinnere mich, daß er mir im Winter 1908/1909 
mit einem ziemlich aufgeregten Brief einen Zeitungsartikel übersandte, 
der den von mir zur Vertretung des unbrauchbaren Staatssekretärs von 
Schön einberufenen Gesandten von Kiderlen boshaft und ordinär angriff. 
Kiderlen wurden unerlaubte Beziehungen zu seiner Haushälterin, der 
Witwe Kypke, vorgeworfen. Der Kronprinz schrieb mir, er halte es für 
seine Pflicht, mich auf derartige Zustände aufmerksam zu machen, „die 
man nicht so hingehen lassen kann“. Ich müsse sofort eingreifen. „Ich 
habe schon einmal Eurer Durchlaucht Aufmerksamkeit auf diese Vorgänge 
zu lenken mir erlaubt, ich habe auch von ernsten Menschen, die die dortigen 
Verhältnisse kennen, dasselbe gehört. Ein offizielles Dementi, wenn dieses 
angreifbar ist, scheint mir sehr gefährlich.“ Ich richtete nach Empfang 
dieses Briefes ein geharnischtes Schreiben an den jungen Herrn, in dem ich 
ihm sagte, ich hoffte, daß, wenn er einmal in ferner Zukunft den Thron seiner 
Eine Intrige 
gegen Kiderlen
	        
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