Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Die 
Beziehungen 
zu England 
416 KIDERLENS HAUSDAME 
Abnen bestiege, er nicht tüchtige, begabte und bewährte Beamte unwürdi- 
gem Klatsch opfern würde. Jedenfalls ließe ich Kiderlen nicht fallen, 
weil irgendein Neider oder Konkurrent oder vielleicht auch ein unbe- 
schäftigter Reporter schmutzige Pfeile gegen ihn abschösse. Der Kron- 
prinz nahm mir, was ich ihm zur Ehre anrechne, diese Abfuhr nicht übel. 
Ich hörte übrigens später, daß die ganze Intrige gegen Kiderlen von dem 
damaligen Gesandten in Athen und späteren Botschafter in Konstantinopel, 
dem ehrgeizigen Baron .von Wangenheim, ausging, der Kiderlen als Kon- 
kurrent für Konstantinopel ausschalten wollte, wobl auch gern selbst 
Staatssekretär geworden wäre. Wangenheim hatte eine ganz hübsche 
Frau, die Tochter des langjährigen württembergischen Gesandten in 
Berlin, Baron Spitzemberg, welcher der Kronprinz, natürlich in allen Ehren, 
zu Füßen lag. Als ich, nachdem die Intrige abgewehrt war, Kiderlen von 
der Sachlage in Kenntnis setzte, erwiderte er mir in unverfälschtestem 
Schwäbisch sehr gemütlich: „Wenn ich Ihnen das Corpus delicti vorführen 
würde, Durchlaucht, so würden Sie schwerlich an unerlaubte Beziehungen 
zwischen mir und dieser dicken Alten glauben. Sie ischt eine brave Schwäbin, 
längscht über das kanonische Alter hinaus. Meine Schwester, die Baronin 
Gemmingen, hat sie mir als Hausdame besorgt.“ Ich habe nicht viele Mit- 
arbeiter gehabt, die mir als ausführende Organe so bequem waren wie 
Kiderlen. Eine ungewöhnliche Arbeitskraft, ausdauernd und behende, von 
rascher Auffassung und scharfem Urteil, verstand Alfred von Kiderlen- 
Wächter wie kaum ein anderer meine Gedanken und Intentionen. Ich gebe 
aber zu, daß er den Pferden glich, die nicht unter jedem Reiter gehen. 
Unter Bethmann Hollweg, der nichts von auswärtiger Politik verstand und 
sich dabei vor Kiderlen fürchtete, konnte dieser später seinem derben, 
bier und da rohen Naturell und seiner bisweilen hervorbrechenden Takt- 
losigkeit zu sehr die Zügel schießen lassen. 
Es konnte mir nicht entgehen, daß die Haltung der Russen und selbst 
der Franzosen während der bosnischen Verwicklung für uns freundlicher 
gewesen war als die der Engländer. Damit meine ich nicht die englische 
Regierung und ebensowenig die große Mchrheit des englischen Volkes. 
Insbesondere der englische Minister des Äußern, Sir Edward Grey, war 
bestrebt gewesen, es nicht wegen Serbien zu einer großen Konflagration 
kommen zu lassen. Aber der englische Botschafter in St. Petersburg, 
Nicolson, hatte die Russen nicht nur gegen Österreich, sondern fast noch 
mehr gegen Deutschland aufgewiegelt und dabei mit Verdächtigungen 
unserer Absichten, mit Intrigen und Verleumdungen nicht gespart. Und 
König Eduard hatte diesem Spiel schmunzelnd zugeschen, es sogar be- 
günstigt und gefördert. Auch jetzt, nachdem wir schaudernd den Welt- 
krieg erlebt haben, glaube ich nicht, daß Eduard VII. 1908 direkt auf einen
	        
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