DAISY PLESS 425
bilden, daß in unserer Zeit und an der Spitze eines großen Reichs ein Souve-
rän alles allein machen könne. „That will never do in modern times.“
Der König sagte mir noch, daß er mir seine und der Königin Bronzebüsten
übersenden würde zur Erinnerung nicht nur an diesen Besuch, sondern
auch an seine langjährigen Beziehungen zu mir und an meine noch älteren
Beziehungen zur Königin. Es fiel mir während unseres Gesprächs auf, daß
der König einen kranken Eindruck machte. Er sah übermüdet und er-
schöpft aus. Sein Atem ging schwer. Als unser Gespräch beendigt war,
setzte sich der König in einen großen Lehnstuhl, während ich mich den
Herren seines Gefolges in einem anderen Teil des Zimmers näherte. Ich
konnte aber auch von hier beobachten, wie die Blässe des Königs zunahm,
bis er einzuschlafen schien. Ein englischer Arzt, der ihn zu dem Luncheon
begleitet hatte, bat alle Anwesenden, das Zimmer zu verlassen. Nach einer
guten Viertelstunde wurden die Gäste wieder zurückgerufen. Der König
nahm auf seinen Anfall in keiner Weise Bezug. Er winkte die Fürstin
Daisy Pleß zu sich heran, die nach dem Luncheon auf der Englischen Bot-
schaft erschienen war. Die Fürstin Daisy war eine der schönsten Frauen,
denen ich begegnet bin, eine typische englische Schönheit, groß, wunderbar
gewachsen, mit herrlichem Teint, weißer Haut, prächtigem Haar, prächti-
gen Zähnen, a real beauty. Sie war eine geborene Miß West aus dem Hause
der Earls of Delawarr, vermählt mit dem Fürsten Hans Heinrich von Pleß,
dem ältesten Sohne des Herzogs von Pleß und eines Fräulein von Kleist.
Fürst Hans Heinrich, im Gegensatz zu seinem ausgezeichneten Vater
ein in Äußerlichkeiten aufgehender, unbedeutender Mensch, gehörte zu
den intimen Freunden Wilhelms II. In seinem mit asiatischem Luxus ein-
gerichteten Schloß Pleß hat Kaiser Wilhelm II. einen großen Teil des Welt-
krieges vertan, statt sich an der Front der kämpfenden Truppe zu zeigen
oder wenigstens die Etappe mit eisernem Besen auszukehren und die Ver-
wundeten in den Lazaretten zu besuchen. Das schlesische Hauptquartier
Wilhelms II. war sehr verschieden von dem schlesischen Feldlager seines
großen Ahnen im Siebenjährigen Krieg. Hundertfünfzig Jahre nach der
Schlacht von Leuthen, sechs Jabre vor dem Weltkrieg kniete die schöne
Schloßherrin von Pleß in der Englischen Botschaft in der Berliner Wilhelm-
straße mit anmutiger Bewegung vor Eduard VII., voll Besorgnis für das
Wohl des Königs ihrer Heimat, während der Beherrscher des britischen
Weltreichs mit dem zufriedenen Blick eines alten Kenners weiblicher
Schönheit auf die Fürstin blickte. Es war das letzte Mal, daß ich den König
sah, und so steht das Bild dieses Monarchen vor mir, der weder so böse
noch so bedeutend war, wie namentlich in Deutschland angenommen
wurde, aber diejenigen überaus schätzbaren Eigenschaften der Menschen-
kenntnis und Menschenbehandlung, der Vorsicht und des Takts besaß,