Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

GROSSE SITZUNG 431 
wenn England uns ehrlich um Verhandlungen bittet, mit Eng- 
land zu verhandeln auf der Relation 3:4 in Linienschiffen, mit Fallen- 
lassen des Vorschlags vom Herbst, der Nichteinbringung einer Novelle 1912. 
Das kann anderweitig erledigt werden nach Tirpitz’ Vorschlag. Lassen 
Euer Durchlaucht sich also von Tirpitz eine Formel ausarbeiten, wo Zahlen 
und Typen vorläufig beiseitegelassen sind, die in großen Zügen unsere 
Vorschläge darstellt, die wir machen wollen, falls die englische Regierung 
uns wieder Gelegenheit offizieller, verbindlicher Natur gibt, uns 
darüber zu äußern. Natürlich muß sie ehrlich ihrerseits die Einstellung 
des übermäßigen Baues uns vorschlagen und versprechen. Also Ver- 
handlungen in höflicher Form von gleich zu gleich, nicht aber perempto- 
rische Wünsche einerseits. Das ist der Inhalt des Vortrages von Tirpitz 
an Mich, mit dem Ich einverstanden bin. Wilhelm J. R.“ 
Zu dem kaiserlichen Brief, den ich wortgetreu wiedergebe, bemerke ich 
erläuternd, daß der am Eingang genannte Müller der Chef des Marine- 
kabinetts, Plessen der von mir bereits eingehend geschilderte langjährige 
diensttuende Generaladjutant und Kommandant des Kaiserlichen Haupt- 
quartiers war. Am 3. Juni 1909 fand eine von mir einberufene Besprechung 
über die Frage einer Verständigung mit England im Reichskanzlerpalais 
statt, an der außer mir, Tirpitz, Metternich die Staatssekretäre des Innern 
und des Äußern, Bethmann Hollweg und Schön, der Chef des Marine- 
kabinetts Vizeadmiral von Müller und der Chef des Generalstabs General 
von Moltke teilnahmen. Ich lasse das amtliche Protokoll über diese Be- 
sprechung folgen: 
„Der Herr Reichskanzler eröffnet die Besprechung nach einem kurzen 
Hinweis auf die hohe Wichtigkeit des Gegenstandes mit Verlesung des 
Briefes Seiner Majestät des Kaisers vom 3. April 1909. In diesem Brief gibt 
Seine Majestät der Kaiser sein Einverständnis mit den Allerhöchstihm 
von Admiral von Tirpitz vorgetragenen Anschauungen über eine eventuelle 
Verständigung mit England kund und weist den Herrn Reichskanzler an, 
von dem Herrn Staatssekretär des Reichsmarineamts eine Formel als 
Basis für Verhandlungen ausarbeiten zu lassen. Der Brief tadelt das Ver- 
halten des Botschafters Grafen Metternich, der von den englischen Staats- 
männern keine Gegenleistung für unseren etwaigen Verzicht auf eine 
Flottennovelle erlangt und für das inkonstitutionelle Vorgehen des 
Sir Charles Hardinge in Cronberg keine Sühne verlangt habe. Der Herr 
Reichskanzler verliest hierauf ein Schreiben des Grafen Metternich, worin 
dieser seine Haltung rechtfertigt. Der Herr Reichskanzler betont, daß unter 
den Anwesenden von persönlicher Empfindlichkeit nicht die Rede sein 
dürfe und könne. Alle wären einig in dem Bestreben, Kaiser und Reich 
nach bestem Wissen zu dienen. Über einen Punkt aber wolle er keinen 
Konferenz im 
Reichs- 
kanzlerpalais
	        
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