Verhältnis
Bülows
zum Kaiser
440 DER KAISER IST UNGNÄDIG
gehaltenen, von Seiner Majestät hier und da ungeduldig und gereizt ange-
hörten Vorträge über die Vorteile einer durch Verlangsamung unseres Flotten-
bautempos zu erreichenden Verständigung mit England erinnerte ich den
Kaiser mehr als einmal an die allerersten Unterredungen, die ich nach
meinem Eintreffen aus Rom in Kiel, im Juni 1897, mit ihm über unsere
Flottenpolitik gehabt hätte. Vor die Aufgabe gestellt, den Bau unserer
Flotte ohne Zusammenstoß mit England zu ermöglichen, hätte ich ihn
damals an ein römisches Dichterwort erinnert. Wir dürften nicht, hätte ich
ihm gesagt, propter vitam vivendi perdere causas. Jetzt, zwölf Jahre
später, müsse ich diese Warnung mit größerem, mit dem größten Nach-
druck wiederholen. Wir hätten die Flotte gebaut zu unserer Sicherheit und
zu unserem Schutze, wir dürften uns aber nicht wegen dieser Flotte und
durch diese Flotte unser Verhältnis zu England ganz verderben.
Die letzten sieben Monate meiner Amtszeit sind nicht zu verstehen ohne
Berücksichtigung der eigenartigen, sprunghaften, wandelbaren, der inko-
härenten Natur Wilhelms II. Nach außen hatte sich sein Benehmen mir
gegenüber nicht geändert. Er war sogar in mancher Hinsicht rücksichts-
voller geworden, widersprach mir selten und ungern, wurde nur in der Flot-
tenfrage ärgerlich, und das auch nur dann, wenn ich diese Frage anschnitt.
Er schien auch sehr besorgt um meine Gesundheit, obschon sie nichts zu
wünschen übrigließ. Am 6. Februar 1909, dem Geburtstag meiner Frau,
erschien der Kaiser mit der Kaiserin bei mir, um meiner Frau unter Über-
reichung eines schönen Straußes aus roten Nelken, seinen Lieblingsblumen,
seine herzlichsten Glückwünsche darzubringen. Aber ich hörte von allen
Seiten, daß hinter meinem Rücken der Kaiser sich nicht nur ungnädig über
mich ausließ, sondern allerlei Märchen über die Vorgeschichte der Novem-
berkrisis und mein Verhalten während dieser Krisis erzähle. Das erschwerte
mir in hohem Grade die Geschäfte, Ich hatte es ohnehin schwerer als früher,
wo die damaligen drei Kabinettschefs, Lucanus, Hülsen und Senden, mir
feste Stützen gewesen waren. Der Letztgenannte hatte mir durch seine
antienglischen Marotten, nicht selten auch durch Taktlosigkeit die Führung
der auswärtigen Politik erschwert, aber er hatte immerhin mein Bleiben
im Interesse des Reichs wie des Kaisers für notwendig erachtet und sich
aus diesem Grunde Intrigen gegen mich widersetzt. Sein Nachfolger,
Admiral von Müller, war liebenswürdiger, taktvoller, aber unzuverlässiger
und dem Kaiser gegenüber ganz unterwürfig. Dabei innerlich ein unklarer,
pietistisch angehauchter Pazifist, was seinem Gemüt vielleicht Ehre machte,
ihn aber nicht zum Vertreter des brillanten Geistes der Entschlossenheit
und Handlungsfreudigkeit qualifizierte, der unsere Marine auszeichnete.
Der Generaladjutant von Hahnke war mir, dem weit jüngeren Manne, ein
wohlwollender, durchaus verläßlicher Gönner gewesen, sein Nachfolger