460 LETZTER APPELL
Ich möchte Sie auch daran erinnern, daß Sie mir während der Debatte im
Abgeordnetenhaus über die Aufhebung des $2 des Jesuitengesetzes nicht
ohne Pathos zuriefen: ‚Bis hierher, Herr Reichskanzler, aber nicht weiter!
Sie sind in Ihrer Nachgiebigkeit, Ihrem Entgegenkommen gegenüber dem
katholischen Teil der Bevölkerung bis zur äußersten Grenze des Erträglichen
gegangen.‘ So sprachen Sie damals, im März 1904. Ich mache auch heute
kein Hehl daraus, daß ich auf katholische Gefühle und Überzeugungen
stets große Rücksicht genommen habe, gerade weil die Katholiken bei uns
die Minderheit bilden. Aber diese meine Rücksichtnahme, meine Achtung
und Sympathie für die großen Seiten der katholischen Kirche können
meine politische Haltung gegenüber der politischen Zentrumspartei nicht
beeinflussen. Ich kenne das Zentrum besser als Sie, Herr von Heydebrand.
Der von Ihnen gewollte Bund mit dem Zentrum wird nicht von langer
Dauer sein. Im Grunde sind mebr Berührungspunkte zwischen dem Zen-
trum und den liberalen Fraktionen als zwischen dem Zentrum und den
Konservativen. Der Weg von Erzberger zu Haußmann und Payer, von
Bassermann zu Hertling ist kürzer als der von Klein-Tschunkawe zu den
maßgebenden Leuten im Zentrum. Ich will Ihnen voraussagen, wohin Ihr
Bruch mit den Nationalliberalen führen wird: zu jener Koalition Windt-
horst-Richter-Grillenberger, die Bismarck in seinen bösen Träumen sah.“
Herr von Heydebrand erwiderte: „Hier steht Überzeugung gegen Über-
zeugung, Ansicht gegen Ansicht. Ich glaube die Situation richtiger zu beur-
teilen.“ Ich erinnerte ihn daran, daß er sich in seinen politischen Prognosen
bisweilen getäuscht hätte. So habe er nach der Reichstagsauflösung am
13. Dezember 1906 erklärt, sie werde zu einer schweren Niederlage der
Regierung wie der Konservativen führen. Die Sache sei gerade umgekehrt
gekommen. Nicht ohne Selbstgefühl meinte Heydebrand: auch er sei nicht
unfehlbar. Was er aber mit Bestimmtheit voraussagen könne, wäre, daß die
nächsten Wahlen „sehr gut, ja glänzend‘ für die Konservativen gehen
würden, gerade wenn sie sich von den Liberalen trennten und dem Zentrum
näherten. Ich richtete noch einen letzten Appell an den Führer der Konser-
vativen. Ich sagte ihm: „‚Vora Standpunkt des Politikers ist es natürlich
nichts weniger als geschickt, daß ich Ihnen, Normann und Manteuffel
gesagt habe, ich würde jetzt nicht auflösen und nicht gegen die Konser-
vativen den Wahlkampf führen. Ich bin klug genug, das wohl zu wissen.
Ich gelte doch im allgemeinen nicht für dumm oder ungeschickt. Aber ich
will gerade mit den Konservativen nicht finassieren, nicht au plus fin
spielen. Und vor allem will ich nicht meinen Grundsätzen untreu werden,
nicht meiner Überzeugung von dem, was dem Staatswohl frommt, und von
dem, was ihm schadet. Eine Auflösung in diesem Augenblick liegt weder
im Interesse des preußischen Staats noch des Deutschen Reichs noch der