Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

HOLSTEIN: „SIE MÜSSEN BLEIBEN!“ 467 
des langjährigen italienischen Botschafters in Berlin, Grafen Launay, den 
Holstein als das Vorbild eines abwägenden, vorsichtigen Staatsmannes 
schätzte, und endlich eine Photographie, die meine Frau und meinen Bruder 
Alfred darstellte, wie sie in Venedig auf dem Markusplatz Tauben füttern. 
Solche Bilder werden bekanntlich in Venedig für einige Lire in kürzester Frist 
hergestellt. Holstein hatte von Fieber glänzende Augen und stark gerötete 
Wangen. Von Frau von Lebbin war mir vorher gesagt worden, daß er, um 
bei seinem Schwächezustand mit mir sprechen zu können, sich zur Anregung 
der Herztätigkeit eine starke Kampfereinspritzung hatte geben lassen. 
Die erste Frage, die er an mich richtete, war, ob ich bleiben würde. Ich 
erwiderte, daß das nicht allein von mir abhinge. Holstein setzte mir mit 
sichtbarer Anstrengung in eindringlichstem Ton auseinander, ich müsse 
im Hinblick auf die auswärtige Lage unter allen Umständen bleiben, einer- 
lei ob der Kaiser noch Vertrauen zu mir habe oder nicht, einerlei ob der 
Reichstag meinen Vorschlägen in der Reichsfinanzreform zustimme oder 
nicht. Ich antwortete, daß,sich Situationen ergeben könnten, wo es mir 
nicht möglich sein würde, zu bleiben. Ich wollte nach zwölfjähriger Amts- 
tätigkeit als aufrechter Mann bleiben oder fallen. Ich würde meinen Namen 
nicht unter Gesetze setzen, nicht Maßnahmen zustimmen, von deren Schäd- 
lichkeit ich überzeugt wäre, überhaupt eine Entwicklung nicht mitmachen, 
die ich für falsch und verderblich hielte. In erregten, sich überstürzenden 
Worten entgegnete der alte Holstein: „Sie müssen bleiben, ich sage Ihnen, 
Sie müssen bleiben! Wer soll denn außer Ihnen mit einem so unberechen- 
baren und unvorsichtigen Kaiser, mit einem so unpolitischen Volk und mit 
einem in allen auswärtigen Fragen kindlich unreifen Reichstag unser Schiff 
steuern ? Bleiben Sie wenigstens noch vier, fünf Jahre! Sie haben die bos- 
nische Krise brillant überwunden, Sie haben es gleichzeitig verstanden, 
uns wieder zu Rußland in ein besseres Verhältnis zu bringen, als wir es seit 
Bismarck gehabt haben. Selbst Harden, der Sie nie gesehen hat, der Sie 
seit Ihrem Amtsantritt, also seit zwölf Jahren, auf das schärfste angreift, 
erklärt in der ‚Zukunft‘, daß Sie im Balkanrennen, wie er es nennt, der 
einzige wirkliche Sieger wären. König Eduard habe die erste sichtbare 
Niederlage seines Regentenlebens erlitten, Iswolski den Ruf eines boshaften 
Narren erreicht, Clemenceau sich nur durchgeschlängelt, Aebrenthal die 
Erreichung seines Ziels mit zu hohem Preise bezahlt. Sie allein hätten alles 
erreicht, was Sie angestrebt hätten, und sich wieder”als unentbehrlicher 
Meister der Diplomatie bewährt. Sie müssen bleiben! Das sagt sogar Har- 
den, Ihr Feind Maximilian Harden! Man soll Ihnen wenigstens Zeit lassen, 
ein Flottenabkommen mit England zustande zu bringen. Dann mag man 
Sie in Teufels Namen fortschicken. Aber jetzt sind Sie noch unentbehrlich !“* 
Ich wollte den dem Tode nahen Mann nicht durch Widerspruch noch mehr 
30°
	        
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