Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Eintreffen 
in Venedig, 
Besuch 
Tittonis 
Der Kaiser 
in Venedig 
468 HOLSTEINS TOD 
erregen. Ich beschränkte mich darauf, zu wiederholen, daß ich mich nicht 
unter ein kaudinisches Joch beugen könne, möge mir das vom Kaiser oder 
von den feindlichen Parteien zugemutet werden. Es war das letzte Mal, daß 
ich Holstein sah, dem ich zum erstenmal, dreißig Jahre früher, während des 
Berliner Kongresses, nähergetreten war. Noch in der Tür, während ich mich 
von Frau von Lebbin verabschiedete, hörte ich seine heisere Stimme: 
„Bleiben ! Bleiben !““ Das war meineletzte Begegnung mit dem eigenartigen 
Mann, der mir nie sympathisch war, dessen hohe politische Begabung ich 
aber nicht verkennen konnte. Er starb bald nachher. Zu seinem Begräbnis 
erschien zum allgemeinen Erstaunen Josef von Radowitz, den er während 
dreißig Jahren gehaßt und verfolgt hatte: wie die einen glaubten, um dem 
Gebote der Bergpredigt zu folgen, die uns mahnt, unsere Feinde zu lieben; 
wie die anderen meinten, um sich davon zu überzeugen, daß Holstein 
wirklich dorthin abgereist sei, von wo es keine Wiederkehr gibt. 
Am 12. April traf ich in Venedig ein. Bald nach meiner Ankunft erhielt 
ich den Besuch des damaligen italienischen Ministers des Äußern Tommaso 
Tittoni. Er war „un Romano di Roma“, ein echter Sohn der Ewigen Stadt, 
in seiner abgewogenen, vorsichtigen, überlegten und klugen Art. Er hatte 
einen Teil seiner Studien in Oxford absolviert, sprach Englisch und hatte 
einige Jahre als Botschafter in London gewirkt. Er war ein Mann des Aus- 
gleichs und der Verständigung, der auch als italienischer Minister und 
Botschafter gute Beziehungen zum Vatikan zu unterhalten wußte. Mein 
Verhältnis zu ihm war immer vortrefflich gewesen. Auch diesmal waren wir 
uns darüber einig, daß bei einer ruhigen und vernünftigen Politik an den 
maßgebenden Stellen weder für die deutsch-italienischen Beziehungen noch 
für den europäischen Frieden unüberwindliche Gefahren drohten. 
Kurz nachher traf der Kaiser, begleitet von der Kaiserin, auf der 
„Hohenzollern“ in Venedig ein. Als wir uns acht oder zehn Tage früher in 
Potsdam getrennt hatten, war der hohe Herr für mich in einer freundschaft- 
lichen, in einer sehr vertrauensvollen und liebenswürdigen Stimmung 
gewesen. Jetzt fand ich ihn kühler, nervös, augenscheinlich verstimmt und 
mißtrauisch. Ich habe später gehört, daß es während unserer kurzen Tren- 
nung meinen höfischen Gegnern, insbesondere dem Fürsten Max Fürsten- 
berg, dem Zeremonienmeister Eugen Röder und einigen anderen Hof 
schranzen gelungen war, ihn wieder gegen mich einzunehmen. Dagegen war 
der hohe Herr für meine Frau wie immer von ritterlicher Courtoisie. Gleich- 
zeitig mit mir war unser Botschafter in Italien, Graf Monts, in Venedig 
eingetroffen. Ich hatte schon während des vorjährigen Besuchs in Rom 
mich zu meinem Bedauern davon überzeugen müssen, daß Monts sich dort 
vollkommen festgefahren hatte. In der italienischen politischen Welt, bei 
der Regierung und in parlamentarischen Kreisen und erst recht in der
	        
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