IMMEDIATVORTRAG BEI S.M. 475
konzedieren, wir ihn damit doch nicht retten. Der Kaiser ist fest ent-
schlossen, sich von Bülow zu trennen. Wir essen bei einem toten Mann,
einem solchen dürfen wir weder die Erbschaftssteuer noch die Reform des
preußischen Wahlrechts in sein Grab nachwerfen.‘“ So erzählte Mehnert
nach meinem Rücktritt meinem alten Freunde, dem Präsidenten der Ersten
Sächsischen Kammer, dem Grafen Friedrich Vitzthum. Heydebrand war
über die Stimmung Seiner Majestät mir gegenüber sehr genau orientiert.
Er war ein Schulfreund des Grafen Anton Monts, und obwohl sie inner-
politisch sehr verschiedenen Anschauungen huldigten, Heydebrand stand
sehr weit rechts, Monts dagegen damals ganz links, waren sie persönlich
gute Freunde geblieben. Monts hatte, nachdem ilım in Venedig durch Kaiser
Wilhelm II. meine Nachfolge in Aussicht gestellt worden war, sofort an
Heydebrand geschrieben, er könne mit der unumstößlichen Tatsache rech-
nen, daß der Kaiser entschlossen sei, sich von mir zu trennen. Er hatte
ihm nicht verraten, daß er selbst sich mit Hoffnungen auf meine Nachfolge
trug, denn er wußte, daß Heydebrand hiervon nicht sehr entzückt sein
würde. Aber er hatte ihm keinen Zweifel darüber gelassen, daß meine
Stellung beim Kaiser endgültig erschüttert sei.
Zu viele Symptome deuteten für mich darauf hin, daß der Sitz aller
Schwierigkeiten, denen ich begegnete, an der Allerhöchsten Stelle war,
als daß ich nicht das Bedürfnis empfunden hätte, mein Verhältnis zum
Kaiser noch einmal und endgültig zu klären. Ich erbat einen Immediat-
vortrag, der mir am 18. Mai in Wiesbaden gewährt wurde. Ich fand den
Kaiser in frohster Stimmung. Er begrüßte mich mit der Versicherung,
daß sein diesmaliger Empfang in Wien „wirklich und wahrhaftig‘ alles
übertroffen hätte, was er bei solchem Anlaß an Begeisterung und Liebe je
erlebt habe. Er war auch sehr stolz auf seine politischen Erfolge in Korfu.
Er habe die Griechen für immer auf unsere Seite gebracht, und das bedeute
ein starkes Aktivum in unserer gesamten politischen Bilanz. Als ich auf
Grund meines eigenen, fast zweijährigen Aufenthalts in Griechenland der
Meinung Ausdruck gab, daß die modernen Griechen bei ihren zerfahrenen
inneren Verhältnissen, ibrer militärischen Schwäche und ihrer Unzuver-
lässigkeit mehr an die Graeculi der Römerzeit erinnerten als an die Helden
von Marathon und den Thermopylen und daß wir sie deshalb nicht als einen
ernsten und gewichtigen Faktor in unsere politische Rechnung einstellen
dürften, schlug die anfänglich gute Laune Seiner Majestät rasch um. Sie
wurde nicht besser, als ich das ihm ohnehin langweilige und unsympathische
Thema der Reichsfinanzreform anschnitt. Ich ließ aber keinen Zweifel
darüber, daß ich ihm gerade über den Stand dieser Frage eingehend Vortrag
halten müsse. Unbekümmert darum, daß der Kaiser mehrfach Zeichen von
Ungeduld gab und ein- oder zweimal nur mühsam ein Gähnen unterdrückte,
Immediat-
vortrag
Bülows
in Wiesbaden