Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Zehn Gebote 
für den Kaiser 
480 „SCHMERZLICHES BEDAUERN“ 
„Kaisertreuen“ hat später das Schicksal ereilt oder wenigstens entlarvt. 
Von Calmette zu schweigen, den kurz vor Beginn des Weltkriegs Frau 
Caillaux erschoß, wurde Eckardstein während des Weltkriegs unter Ver- 
dacht des Landesverrats von der Militärbehörde hinter Schloß und Riegel 
gebracht. Rudolf Martin schwenkte, als die Novemberrevolution ausbrach, 
von den Kaisertreuen zu den Sozialisten über. Graf Hans Oppersdorff auf 
Oberglogau in Schlesien verfiel als „Oppersdorffski‘‘ der allgemeinen Ver- 
achtung. 
Ich habe schon erwähnt, wie beglückt Wilhelm II. war, daß ihn sein 
Kollege Nicky aus eigenem Antrieb zu einer freundschaftlichen Begegnung 
in den russischen Gewässern aufforderte. Im Hinblick auf die kritische 
innere Lage dispensierte mich der Kaiser proprio motu von der Teilnahme 
an der Entrevue durch das nachstehende Schreiben, das der Chef des 
Zivilkabinetts schon am 2. Juni 1909 an mich richtete. „Eurer Durchlaucht 
beehre ich mich auf Allerhöchsten Befehl ganz ergebenst zu melden, daß 
Seine Majestät der Kaiser und König Allerhöchstsich sehr gefreut hätten, 
wenn bei der bevorstehenden Zusammenkunft mit Seiner Majestät dem 
Kaiser von Rußland Eure Durchlaucht Allerhöchstihnen zur Seite gestanden 
hätten. Seine Majestät haben aber erfahren, daß der Reichstag am 15. d.M. 
wieder zusammentritt, und glauben bei der besonderen Wichtigkeit der 
bevorstehenden Beratungen über die Reichsfinanzreform die Anwesenheit 
Eurer Durchlaucht im Reichstage für unentbehrlich halten zu müssen. 
Unter diesen Umständen wollen Seine Majestät zu Allerhöchstihrem 
schmerzlichen Bedauern auf Eurer Durchlaucht Begleitung nach Danzig 
verzichten und ersuchen Eure Durchlaucht, Sich durch den Herrn Staats- 
sekretär des Auswärtigen Amts vertreten zu lassen. Unter dem Ausdruck 
meiner ausgezeichneten Verehrung Eurer Durchlaucht sehr ergebener 
von Valentini.‘“ Der Brief des Kabinettschefs war mit Maschinenschrift 
geschrieben. Das Wörtchen „schmerzlich“ hatte Herr von Valentini nach- 
träglich noch mit der Feder eingetragen. 
Ich gab Herrn von Schön, der Seine Majestät begleiten sollte, als Direk- 
tive eine kurze Aufzeichnung mit, die ich „Zehn Gebote‘ überschrieb. 
Dieser Dekalog, von dem ich Seiner Majestät eine Abschrift übersandte, 
lautete wie folgt: 
1. Die Russen, insbesondere Iswolski, freundlich behandeln. Wir müssen 
mit Iswolski über Politik sprechen, da er zu diesem Zweck von seinem Sou- 
verän mitgebracht wird. Natürlich ist gerade ihm gegenüber Vorsicht ge- 
boten. Ihn reden lassen. 
2. Den Russen nichts sagen, was, nach Wien (sei es direkt, sei es 
indirekt, etwa via London oder Paris) gemeldet, dort Mißtrauen erregen 
könnte.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.