Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Entscheidung 
im Reichstag 
504 KEINE INTERVENTION BEI EDUARD VII. 
Flottenfrage zusenden, der sich zugleich mit dem wertvollen Gedanken Ihrer 
letzten Briefe befassen wird. Heute möchte ich nur meinem großen Be- 
dauern Ausdruck geben über Ihren Entschluß, den die Zeitungen veröffent- 
lichen, daß Sie nach Durchführung der Finanzreform Ihr Amt niederlegen 
wollen. Ich hoffe immer noch, daß die Verhältnisse sich so gestalten werden, 
daß Ihr Entschluß rückgängig gemacht werden kann, obwohl die letzte 
Nachricht, wonach Ihr Entschluß unwiderruflich sein soll, hierzu wenig 
Aussicht läßt. Ich fürchte, daß nicht nur die unerquicklichen Partei- 
verbältnisse im Reichstag, sondern auch andere Umstände in den letzten 
Tagen Sie dazu bewogen haben, Ihren Rücktritt ins Auge zu fassen. Ich 
mag mich hierin aber auch täuschen. Wenn ich wüßte, daß es politisch 
nützlich wäre, so würde ich Lord Knollys gegenüber in Gesprächen betonen, 
daß Ihr etwaiger Rücktritt auch deshalb zu bedauern sei, weil Sie einer 
Verständigung auf dem Flottengebiet keineswegs abgeneigt seien. Ich werde 
in dieser Beziehung aber nichts unternehmen, ohne daß Sie mich dazu 
ermutigen.“ Lord Knollys war ein Vertrauter, vielleicht der intimste Ver- 
traute des Königs Eduard. Ich habe den Botschafter sofort gebeten, in der 
von ihm nach seiner Andeutung erwogenen Richtung keinerlei Schritte zu 
unternehmen, weil ich mein Bleiben oder Gehen nicht von irgendwelcher 
fremden Einwirkung abhängig machte. 
Am 24. Juni 1909 fielen die Würfel. Im Namen der Konservativen Partei 
eröffnete Herr von Richthofen die zweite Lesung des Erbschaftssteuer- 
gesetzentwurfes, der allmählich in den Vordergrund der Steuervorlagen 
getreten war. Heydebrand zog es vor, sich im Augenblick der Entscheidung 
nicht in den Vordergrund zu stellen, arbeitete aber um so eifriger hinter den 
Kulissen. Karl Freiherr von Richthofen-Damsdorf war ein typischer Kon- 
servativer der alten Sorte: Rittergutsbesitzer, Korpsstudent, Rittmeister 
der Reserve des Garde-Kürassier-Regiments, hintereinander Assessor, 
Regierungsrat und Oberregierungsrat, bewirtschaftete er sein schlesisches 
Ahnengut und erfreute sich als Mitglied der Landwirtschaftskammer und 
des Kreistages allgemeiner Achtung. Er hatte in den von mir geleiteten 
Wahlen im schlesischen Wahlkreis Schweidnitz-Striegau den bisherigen 
Vertreter, einen Sozialisten, verdrängt. Ich glaube kaum, daß Herr von 
Richthofen innerlich mit der von Heydebrand eingeschlagenen Richtung 
einverstanden war. Aber den deutschen politischen Traditionen und 
Gepflogenheiten entsprechend, unterwarf er sich dem Willen des Partei- 
führers. Seine Rede war matt und farblos. Unter Gelächter der Linken er- 
klärte er, es sei niemals die Absicht der Konservativen gewesen, einen 
Minister zu stürzen, die Konservativen wollten lediglich eine Pflicht gegen 
das Vaterland erfüllen. Hoffentlich würden sich nach Ablehnung der Erb- 
schaftssteuer alle bürgerlichen Parteien zum Zustandebringen der Reform
	        
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