Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

510 NOCH SCHÄRFERES PERSÖNLICHES REGIMENT 
Arbeiten? Kanitz oder Udo Stolberg zum Staatssekretär des Reichsschatz- 
amts? Auch aus Heckscher, Dove, Dohrn, Mommsen und anderen Frei- 
sinnigen ließen sich ganz brauchbare Staatssekretäre und Unterstaats- 
sekretäre machen. Sind erst einmal drei oder vier Abgeordnete Minister 
oder Staatssekretäre geworden, so werden sich mehr als bisher tüchtige und 
fühige Männer in den Reichstag wählen lassen, das Niveau des Reichstags 
wird sich heben, und das wird in jeder Hinsicht gut sein. Ich wäre sogar nicht 
abgeneigt, diesen oder jenen wirklich tüchtigen Sozialisten, z. B. Otto Hu& 
oder Carl Legien als Direktoren oder Vortragende Räte in das Reichsamt 
des Innern zu setzen. Jetzt, nach der schweren Niederlage, welche die sozial- 
demokratische Partei bei den Wahlen erlitten hat, wäre gerade der richtige 
Moment gewesen.“ Valentini (entsetzt): „Darauf wird Seine Majestät nie 
eingeben.“ Ich: „Ich wollte das ja auch nicht von heute auf morgen, son- 
dern nach und nach, allmählich und besonnen. Ich erinnere Sie übrigens 
daran, daß ich Seine Majestät über den Novembersturm gebracht habe, 
ohne irgendwelche Minderung oder Beeinträchtigung der Kronrechte. Ich 
würde es für illoyal gehalten haben, diese Krisis zu benutzen, um ein libe- 
rales Regime anzubahnen.“ Valentini: „Seine Majestät will das Gegenteil 
von solchen Plänen. Seine Majestät möchte das, was Sie persönliches Re- 
giment nennen, noch schärfer akzentuieren.“ Ich: „Das halte ich für sehr 
bedenklich. Worauf wollen Sie denn eigentlich hinaus? Auf Zustände wie 
in Rußland?“ Valentini: „Nicht gerade wie in Rußland, aber ähnlich, 
unseren Verhältnissen entsprechend. Vor allem muß der Reichstag mehr an 
den Zügel genommen werden! Seine Majestät findet seit langem, daß Sie dem 
Reichstag zu sehr um den Bart gehen. Eure Durchlaucht haben Seiner Ma- 
jestät dort auch zu viele und zu schöne Reden gehalten.“ Ich: „Damit habe 
ich doch während zwölf Jahren ungefähr alles erreicht, was Seine Majestät 
anstrebte und was im Staatsinteresse lag. Was wollen Sie denn noch mehr ?““ 
Valentini: „Gewiß! Aber das alles wurde dank Eurer Durchlaucht Geschick- 
lichkeit bewilligt, dank Ihrer rednerischen Überlegenheit, kurz Ihrer Indivi- 
dualität, aber nicht grundsätzlich, nicht aus Gehorsam gegenüber dem 
Kaiser. Die Parlamentarier sind unter Eurer Durchlaucht zu frech geworden, 
und Sie sind seit langem Seiner Majestät etwas zu groß geworden, hochver- 
ehrte Durchlaucht.“ Ich: „Vous vous plaignez que la mariee est trop belle, 
würde ich mich auf französisch ausdrücken.“ Valentini (der diesen Witz 
augenscheinlich nicht versteht): „Mögen Eure Durchlaucht überzeugt sein, 
daß ich wie alle Patrioten Eurer Durchlaucht hohe Verdienste auf allen 
Gebieten anerkenne, Eure Durchlaucht hochschätze und verehre und 
Eurer Durchlaucht Scheiden mit Schmerz und Sorge begleite.‘“ Wir schüt- 
telten uns die Hände, er gerührt, ich sehr höflich. Während der Zug in die 
Kieler Bahnhofshalle einfuhr, sagte mir Valentini, er habe die Frage meiner
	        
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