Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

POLYKRATES 513 
wenn wir freiwillig, avec un beau geste, mit England zu einem Abkommen 
gelangen, das mit der englischen Besorgnis vor dem Tempo unserer Schiffs- 
bauten die latente Kriegsgefahr verringert?“ S. M. (mit großer Bestimmt- 
heit): „Ich glaube nicht an eine solche Kriegsgefahr!““ Der Kaiser blickte, 
während er so sprach, auf die seine „Hohenzollern“ umgebende Kriegs- 
flotte. Indem er mit der Hand auf die gewaltigen Panzerschifle deutete, 
rief er mit erhobener Stimme und mit stolz zurückgebogenem Haupte mir 
zu: „Wenn einer, wie Ich in diesem Moment, die Früchte seiner ehrlichen 
und sauern Mühen so unmittelbar vor Augen hat, dann darf er wohl ein 
gewisses Selbstgefühl betätigen.“ Ich mußte an Schillers Polykrates denken, 
der von seines Daches Zinnen auf Samos schaute mit vergnügten Sinnen. 
Ich erwiderte: „Auch ich glaube nicht, daß England von heute auf morgen 
über uns herfallen wird wie seinerzeit Nelson über Kopenhagen und die 
kleine dänische Flotte. Was ich glaube, ist, daß, wenn wir unseren Schifls- 
bau forcieren — ich unterstreiche das Wort: forcieren! — ein durch das 
Tempo unserer Bauten schließlich allzu sehr beunruhigtes und gereiztes 
England sich gegen uns wenden wird, falls irgendeine größere Komplikation 
ihm dazu Gelegenheit bietet.“ S. M.: „Ich will Mich doch im guten und in 
Frieden von Ihnen trennen, lieber Bülow, warım kommen Sie auf diesen 
alten Streitpunkt zurück ?“ Ich: „Weil die Gelegenheit für eine Verständi- 
gung mit England gerade jetzt günstig liegt. Mein Rücktritt, ein neuer 
Reichskanzler, das gibt a new departure. Auch kann es jetzt nicht so aus- 
sehen, als ob wir deshalb über das Tempo unserer Schiffsbauten mit uns 
reden ließen, weil uns der finanzielle Atem ausginge. Unsere Kassen sind 
wieder voll.“ S. M.: „Ich kann und will John Bull nicht erlauben, Mir das 
Tempo Meiner Schiffsbauten vorzuschreiben!“ Ich: „Es handelt sich ja 
gar nicht um ein Vorschreiben, um ein Diktat, auch nicht um einen Zwang, 
sondern um ein freiwilliges und freundliches Arrangement.‘ S. M. (sehr 
ungeduldig): „Das sind Wortspielereien! Ich bitte Sie noch einmal, hören 
Sie damit endlich auf. Wir wollen uns doch im guten trennen, nicht wahr ?“ 
Ich: „Dixi et salvavi animam meam.“ S. M.: „Schon wieder ein Zitat! 
Nun, und wie ist es mit der zweiten Ermahnung des großen Pädagogen ?“ 
Ich: „Wiederholen Sie nicht die bosnische Aktion.“ S. M. (mißtrauisch): 
„Die war aber doch ein Triumph für Sie!“ Ich: „Die Situationen wieder- 
holen sich in der auswärtigen Politik selten in ganz gleicher Weise. Im 
vorigen Winter lagen die Dinge, wie sie kaum je wieder liegen werden. 
Ne bis in idem!“ S.M. (wieder heiter, freundlich): „Sie zitieren zum Schluß 
aber noch gewaltig. Das wenigstens macht Ihnen keiner nach. Also, Sie 
meinen, Ich soll auf dem Balkan vorsichtig sein ?“ Ich: „Ja, dort noch mehr 
als anderswo. Dort liegt die Gefahr. Denken Eure Majestät, bitte, an alles, 
was Bismarck in dieser Beziehung gesagt, geschrieben, gewarnt hat. 
33 Bülow I
	        
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