Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

ES RÖCHE NACH PARLAMENTARISMUS 515 
le front haut. Je vous en fais mon compliment.‘“ Es berührte mich eigen- 
tümlich, daß bei dieser Henkersmahlzeit für den preußischen Minister- 
präsidenten und deutschen Reichskanzler außer Seiner Majestät, mir und 
dem diensttuenden Flügeladjutanten nur Franzosen zugegen waren. 
Als ich mich auf der „Alice“ vom Kaiser verabschiedete, um auf die 
„Hohenzollern“ zurückzukehren, fand ich dort den General von Plessen 
und den Kabinettsrat Valentini. Plessen sagte mir: „Sie wissen, wie lebhaft 
ich Ihr Bleiben gewünscht habe. Aber jetzt sage ich Ihnen: Sie haben recht, 
zu gehen. Das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Kaiser ist unhaltbar 
geworden. Aber alles, was recht ist: Sie haben bis zuletzt famos die Hal- 
tung gewahrt.“ Valentini frug mich, ob er mich zur Bahn begleiten dürfe. 
Unterwegs erkundigte er sich, ob der Kaiser mir mitgeteilt hätte, daß er 
Bethmann Hollweg als meinen Nachfolger in Aussicht genommen habe. 
Als ich diese Frage bejahte, meinte Valentini mit entschiedener und nach- 
drücklicher Betonung: „Bethmann ist auch weitaus der Beste, darüber kann 
kein Zweifel sein.“ Bethmann und Valentini waren intime Freunde. Wenn 
ich nicht irre, hatten sie zusammen studiert. Darüber beruhigt, daß die 
Nachfolge von Bethmann Hollweg endgültig gesichert war, frug Valentini, 
ob ich mich nicht entschließen könne, bis zum Herbst zu bleiben. Natürlich 
müsse ich in diesem Fall vor Reichstag und Land die Verantwortung für die 
Reichsfinanzreform in der Fassung übernehmen, wie sie ihr von Konserva- 
tiven und Zentrum gegeben worden wäre. Die Zumutung war naiv und zeigte 
den Mangel an staatsmännischem Denken, der Valentini charakterisierte. 
Ich erklärte ihm, daß mir dies nicht möglich wäre. Ich sei der Meinung, daß 
die Ausmerzung der Erbschaftssteuer wie die Sprengung des Blocks in der 
Weise, wie sie von den Konservativen vorgenommen wurde, verhängnis- 
volle Febler seien. Diese meine Überzeugung könne ich nicht verleugnen. 
Nach meiner Ansicht müsse ein Minister mit seiner Überzeugung stehen 
oder fallen. Valentini schien enttäuscht und betrübt, daß ich nicht aufseinen 
Wunsch eingehen wollte. Ich sagte Valentini expressis verbis, ich hätte 
nicht Friktionen mit Seiner Majestät und die mir neuerdings immer un- 
gnädiger gewordene Stimmung Seiner Majestät als Grund meines Rück- 
tritts hinstellen wollen, sondern die Verwerfung der Erbschaftssteuer unter 
Sprengung des Blocks. Valentini meinte, letzteres wäre sicherlich besser, 
viel besser als Rücktritt wegen Zerwürfnis mit dem Kaiser, aber das eigent- 
lich Wünschenswerte sei es nicht, denn es röche nach Parlamentarismus. 
Ich möge die von der neuen Reichstagsmehrheit angebotenen Millionen 
nehmen und bis zum Wiederzusammentritt des Reichstags bleiben, das sei 
die einzig richtige Lösung. Sie würde auch von meinem Nachfolger Beth- 
mann Hollweg gewünscht, der sein schweres Amt erst im Spätherbst an- 
treten möchte. Gegenüber dem fortgesetzten Insistieren von Valentini und 
33°
	        
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