Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

518 DER UMFALL 
und damit Eurer Durchlaucht großen Namen unter ein großes Werk zu 
setzen.‘ Ich sandte die Aktenstücke ohne Begleitschreiben zurück, da ich 
der Ansicht war, daß in dieser Frage nun der Worte genug gewechselt 
wären. Die Stimmung in Berlin war in allen Kreisen eine gedrückte. Die 
„Frankfurter Zeitung‘ wies in einem Artikel nach, daß hinter den Parteien, 
welche die Erbschaftssteuer verworfen hätten, kaum vier Millionen Wähler 
stünden, hinter den Parteien, die für die Erbschaftssteuer gestimmt hätten, 
dagegen rund sieben Millionen. Natürlich erklärte die demokratische 
„Frankfurter Zeitung“, daß sich daraus die absolute Notwendigkeit einer 
Neueinteilung der Wahlkreise ergebe. In der Tat hat damals die Bewegung 
für diese Neueinteilung ihren Anfang genommen, während ich während 
meiner langen Amtszeit keine Mühe gehabt hatte, daraufbezügliche Anträge 
a limine abzuweisen. Das leitende Blatt der Zentrumspartei, die „Ger- 
mania“, hatte die Lüge verbreitet, zwischen mir und den Mitgliedern des 
Bundesrats und insbesondere zwischen mir und dem bayrischen Gesandten 
Lerchenfeld hätten stets starke Verstimmungen bestanden. Der bayrische 
Gesandte Graf Hugo Lerchenfeld, ein untadliger Ehrenmann und mir seit 
Jahrzehnten durch persönliche Freundschaft verbunden, gab darauf im 
Reichstag spontan eine Erklärung ab, durch die er die Behauptung der 
„Germania“ in das Gebiet der Fabel verwies. Fürst Bülow habe während 
zwölf Jahren mit allen Mitgliedern des Bundesrats die besten, vertrauens- 
vollsten Beziehungen unterhalten. Insbesondere weise er, Lerchenfeld, die 
Erfindung von einer persönlichen Verstimmung zwischen ihm und dem 
Fürsten Bülow auf das allerentschiedenste zurück. 
Ernster war der Sturm, den der bisherige Staatssekretär Sydow ent- 
fesselte, als er bei der zweiten Lesung der Branntweinsteuervorlage am 
3. Juli versuchte, die Haltung der verbündeten Regierungen zu verteidigen, 
die unter Verzicht auf die von ihnen einmütig gewünschte und immer wieder 
mit Nachdruck geforderte Erbschaftssteuer der Reichsfinanzreform in der 
ihr von Konversativen und Zentrum gegebenen Fassung zustimmten. 
Gegenüber dem Lärm im Hause konnte Sydow kaum zu Worte kommen. 
Als er, sehr verlegen und befangen, endlich seine Rede mit den mehr ge- 
stammelten als gesprochenen Worten begann: „Die verbündeten Regie- 
rungen stehen auf dem Standpunkt“, rief ihm der Führer der Sozialdemo- 
kraten, der Abgeordnete Singer, mit Stentorstimme zu: „Sie stehen ja 
gar nicht, Sie sind schon längst umgefallen!“ Das stürmische Gelächter, 
das hierdurch hervorgerufen wurde, dauerte minutenlang. Der arme Sydow 
klammerte sich an die Tribüne, ohne seine Rede fortsetzen zu können. Der 
Reichstag hatte seit Jahren keine solche Lärmszene erlebt. 
In einer besonders fatalen Lage befanden sich die Konservativen in 
Sachsen. Sie erklärten, sie hätten nicht den Wunsch gehabt, den unbestreitbar
	        
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