Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

HEYDEBRAND BEREUT 519 
hochverdienten Fürsten Bülow aus dem Amt zu bringen. Es half ihnen das 
nicht viel. 1907 hatten, wie ich schon erwähnte, die bürgerlichen Parteien 
in Sachsen dreizehn Sitze erobert; 1912 sollten sie fast alle diese Sitze 
wieder an die Sozialdemokratie verlieren. Heute pendelt Sachsen zwischen 
einer rein sozialistischen und einer sozialistisch-kommunistischen Regierung 
hin und her und ist zeitweise sogar der Tummelplatz des deutschen Rinaldo 
Rinaldini, des Herrn Max Hölz, geworden. 
Heydebrand, der fühlen mochte, einen wie großen Fehler er begangen 
hatte, benutzte die dritte Lesung der Finanzreform, am 10. Juli, um sich 
nach Möglichkeit reinzuwaschen. Seine Rede war dialektisch recht ge- 
schickt. Aber die Wahlen von 1912 sollten beweisen, daß es Fälle gibt, wo 
alle Rabulistik versagt. Heydebrand spendete mir, dem „hochverdienten“ 
Kanzler, hohes Lob. Die Konservative Partei würde nie vergessen — hier 
rief die Linke: „Daß Sie ihn gestürzt haben!“ — Heydebrand replizierte: 
„Nein, sondern was dieser Staatsmann für uns gewesen ist. Dieser Saal 
ist oft genug Zeuge gewesen, mit welch hinreißender Klarheit und Geistes- 
schärfe dieser bedeutende Mann die Interessen des Landes und des ganzen 
Reichs nicht bloß im Innern, sondern auch nach außen hin vertreten hat.“ 
Die Konservativen würden niemals vergessen, was dieser Kanzler auch für 
die wirtschaftlichen Interessen des Landes, deren Schutz und Sicherheit 
getan hätte, mit welcher „niederschlagenden Beredsamkeit“ er der sozial- 
demokratischen Partei entgegengetreten wäre. Besonders aber erkenne die 
ganze Konservative Partei einmütig und dankbar die „männliche und feste 
Art‘ an, mit der Fürst Bülow so oft vor die Person des Kaisers und Königs 
getreten sei. Mit sichtlicher Verlegenheit und gegen seine Gewohnheit in 
fast stockendem Tone suchte Heydebrand das Zusammengehen der Kon- 
servativen mit den Polen wenn nicht zu rechtfertigen so doch zu beschöni- 
gen. Dies Zusammengehen sei „ein mehr zufälliges‘“ gewesen. Die Kon- 
servativen würden nach wie vor für die deutsche Kultur im Osten eintreten, 
sie würden, wenn es sein müsse, für diese Kultur „bis auf den letzten Mann“ 
fallen. Vierundzwanzig Stunden nach diesem sehr schwachen Rechtferti- 
gungsversuch erklärte das offizielle Organ der polnischen Fraktion, der 
„Dziennik Berlinski“, im Namen und Auftrag der Polenpartei: „Wir er- 
klären mit allem Nachdruck, daß die polnischen Mitglieder des Reichstags 
mit ihrer Abstimmung, die das Schicksal der Vorlage über die Erbschafts- 
steuer entschied, einzig und allein die Beseitigung des Fürsten Bülow er- 
zielen wollten.“ In der Tat war, wie bereits bemerkt, die Erbanfallsteuer 
am 24. Juni mit 195 gegen 187 Stimmen abgelehnt worden, d. h. mit einer 
Mehrheit von nur acht Stimmen. Ohne die Hilfe der polnischen Stimmen 
wäre die Erschaftssteuer durchgegangen. Der Sprecher der Wirtschaft- 
lichen Vereinigung, der Abgeordnete Raab, folgte dem Vorbild des
	        
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