BÜLOW „FAST EIN TROTTEL“ 525
Als der Kaiser mich entließ, traf ich im Vorzimmer die Vertreter von
Bayern, Württemberg, Sachsen und Baden. Von einem dieser Herren
wurde mir am nächsten Tage erzählt, daß der Kaiser ihm und seinen Kol-
legen einen „sehr krausen““ Vortrag gehalten hätte. Er habe sich von mir
trennen müssen, weil ich mein Gedächtnis völlig verloren hätte. Ich hätte
bisweilen nicht mehr gewußt, was ich am Tage vorher gesagt hätte. Ich sei
ganz konfus geworden „und fast ein Trottel“. Er wolle das in gnädiger An-
erkennung gewisser früherer Verdienste auf Überarbeitung zurückführen
und habe es deshalb für seine „Christenpflicht‘ gehalten, mir den Übergang
in das Privatleben zu erleichtern. Übrigens hätte ich ihm ganz unerhörte
Personalvorschläge gemacht. Ich hätte z. B. verlangt, daß ein gewisser
Herr vom Rath, ein früherer Privatsekretär von Herbert Bismarck, ein
versoflener Spieler, Botschafter werden solle. Die Behauptung von meiner
Gedächtnisschwäche war absurd. Was Herrn vom Rath betrifft, so war er
in der Tat als Legationssekretär dem Staatssekretär Herbert Bismarck für
besondere Aufträge zugeteilt gewesen. Wie sein damaliger Chef, liebte Rath
einen guten Tropfen. Er hat auch einmal in Bukarest oder Belgrad, ich
entsinne mich nicht mehr genau, bei einem Bridge oder Ecarte eine größere
Summe verloren, sie aber, da er wohlhabend war, sofort ausgezahlt. Ich
hatte nie für ihn an eine Botschaft gedacht, geschweige denn ihn für eine
solche in Vorschlag gebracht. Ich hatte ihn überhaupt seit genau zweiund-
zwanzig Jahren nicht mehr erblickt. Er hatte aber unsere auswärtige Politik
während der bosnischen Krisis durch einige gut geschriebene Artikel in
Wiener und Hamburger Blättern unterstützt. In Anerkennung dieses
Dienstes hatte das Auswärtige Amt vorgeschlagen, ihm, der bis dahin
Lagationsrat gewesen war, den Charakter als Ministerresident zu verleihen.
Ich hatte den betreffenden Bericht an Seine Majestät, der noch eine ganze
Anzahl ähnlicher bescheidener Auszeichnungen an verdiente Beamte,
auch an solche des mittleren Dienstes, enthielt, natürlich anstandslos
unterzeichnet. Wenn ich denke, daß eine solche Lappalie als Entschuldi-
gung für die Haltung Seiner Majestät mir gegenüber herangezogen wurde,
so kann ich nur noch einmal mit Goethe wiederholen: „Bei der größten
Wahrheitsliebe kommt derjenige, der vom Absurden Rechenschaft geben
soll, immer ins Gedränge. Er will einen Begriff davon überliefern, und so
macht er es schon zu etwas, da es eigentlich ein Nichts ist, welches für etwas
gehalten werden will.“
Mit einem Gefühl der Erbitterung schied ich aus dieser Abschieds-
audienz. Haltung und Ton des Kaisers waren die eines schlecht erzogenen
Knaben gewesen. Ich gedachte jenes lateinischen Spruchs, mit dem
siebzehn Jahre früher Fürst Bismarck seine Meinung über die Reden ge-
äußert hatte, in denen der Kaiser ihn, den so großen und gewaltigen Mann,