Abschied von
der Kaiserin
530 BEI DER KAISERIN
wie sehr der Kaiser während der Novembertage gelitten habe. Er habe
„wie ein Kind geweint‘, weil ihm der Undank und die Ungerechtigkeit
weiter Kreise so nahegegangen seien. Das müßten wir uns immer vor
Augen halten, um das Verhalten des Kaisers richtig zu beurteilen. Valen-
tini äußerte zu meiner Frau, sie hätte, während sie mit Seiner Majestät
gesprochen habe, nicht so liebenswürdig und freundlich ausgesehen wie
gewöhnlich. Sie hätte ein ganz strenges Gesicht gemacht. Meine Frau er-
widerte: sie wäre ganz bereit abzugehen, aber sie könne ungerechte und
unwahre Urteile über ihren Mann nicht schweigend anhören, auch nicht,
wenn sie aus dem Munde Seiner Majestät kämen. „Ach Gott“, antwortete
ihr Valentini achselzuckend, „über solche Auslassungen Seiner Majestät
muß man nicht zu lange und nicht zu tief nachdenken. Übrigens bin ich
bereit, mit Ihnen eine Wette zu machen, daß Sie in zwei Jahren wieder in
diesem Palais sitzen werden.“ Der Kaiser blieb bis elf Uhr. Ich begleitete
ihn wie immer bis zu seinem Automobil. Als wir die Treppe hinunter-
gingen, sprach er mit einiger Erregung davon, daß ein spanischer Infant,
der eine Kusine Seiner Majestät, die hübsche Prinzessin Beatrice von
Koburg, geheiratet hätte, seiner militärischen Würden und des Ordens vom
Goldenen Vlies entkleidet worden wäre, weil er eine Kcetzerin zur Gattin
erkoren habe. „Schöne Bundesgenossen, die sich Heydebrand ausgesucht
hat“, fügte er lachend hinzu. Ich entgegnete, daß man die deutsche
Zentrumspartei, in der es viele ehrenwerte und durchaus patriotische
Männer gebe, nicht für die Rückständigkeit spanischer Exaltados verant-
wortlich machen könne, die sich noch im Zeitalter der Inquisition und des
Autodaf& wähnten. Der Kaiser schüttelte mir die Hand und stieg in sein
Automobil, in dem er oft mit lustigem Ta-tü-ta-ta bei mir vorgefahren war.
Am 16. Juli wurden meine Frau und ich in Abschiedsaudienz von der
Kaiserin empfangen. Die gute und edle Frau war sehr bewegt und sagte mir
in herzlichen Worten und ohne Zweifel mit voller Überzeugung, daß sie
meinen Rücktritt beklage und tief bedaure. „Wenn es nach mir gegangen
wäre“, meinte sie mit wehmütigem Lächeln, „würden Sie noch zwanzig
Jahre geblieben sein.“ Ich erwiderte, daß Seiner Majestät dem Kaiser mit
einem achtzigjährigen Kanzler kaum gedient sein würde. Die Kaiserin
hatte gehört, vermutlich von mir unfreundlicher Seite, daß ich die Absicht
hätte, mich in den Reichstag wählen zu lassen. Sie bat mich mit rührendem
Ausdruck: „Nicht wahr, Sie werden im Reichstag keine Reden gegen den
Kaiser halten?‘ Ich entgegnete, indem ich ihr die Hand küßte, daß ich
weder im Reichstag noch anderswo Seiner Majestät Schwierigkeiten machen
würde. Ich sei und bliebe Monarchist. Sie sagte mir auch, immer in der ihr
eigenen, durch und durch ehrlichen und wahrhaftigen Art, sie wäre „fast
immer“ mit mir einverstanden gewesen. Da sie nicht viel von Politik